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Selbstbespiegelung. In Talkshows sitzen meist weiße Männer, die eine oder andere Frau ist auch dabei. Die Journalisten, die die Gäste auswählen, sind auch weiß und oft männlich. Das ist normal. Oder? Vielfalt sieht anders aus.

© p-a/dpa

Diversity in den Medien: Bunt ist das neue Normal

In den deutschen Medien fehlt die Perspektive der Migranten – das muss sich ändern.

Was gilt in Deutschland als normal? Das zeigt sich zum Beispiel, wenn man das Wort ‚Bankbeamter' sagt: Da denkt man an einen weißen Bankbeamten. Erst wenn man ‚schwarzer Bankbeamter' hört, wird klar, dass das einfache Wort ‚Bankbeamter' gar nicht neutral ist, sondern in Deutschland ‚weißer Bankbeamter' bedeutet. Nun können Sie sagen, ja klar, die sind ja auch in der Regel weiß. Richtig.

Das Problem ist nur, dass bei anderen Berufsbezeichnungen nicht automatisch angenommen wird, dass die Person ein weißer Deutscher ist: Türsteher zum Beispiel, oder Putzfrau, oder Autoknacker. Die Frage ist also, wann in der vorgeblich neutralen Bezeichnung impliziert ist, dass es sich um einen Weißen handelt, und wann es impliziert ist, dass die Person nicht-weiß ist oder Migrationsgeschichte hat. Zum Beispiel das Wort ‚Wissenschaftler'. Was für ein Gesicht haben Sie spontan vor Augen? Weiß oder schwarz? Na?

An dieser Stelle wird klar, dass die Berufe in Deutschland nicht unabhängig von Migrationsgeschichte oder Hautfarbe zugeordnet werden. Negative Stereotype spielen in die Erwartungen hinein und behindern Menschen mit Migrationsgeschichte in ihrer Berufswahl und Karriere. Wäre ihre Beteiligung in der Berufswelt auf jeder Ebene normal, würden bestimmte Ämter und Berufe nicht mehr unterschwellig an eine bestimmte Hautfarbe, Religion oder ethnischen Hintergrund gekoppelt sein. Doch davon ist Deutschland noch weit entfernt. Jeder fünfte Mensch in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte, Tendenz: steigend. Sie sind gleichwertige Bürger und Bürgerinnen dieses Landes; sie haben also ein Recht darauf, entsprechend in der Arbeitswelt repräsentiert zu sein.

Das Bild der Einwanderungsgesellschaft wird von den Medien geprägt

Das gilt auch für die Medien. Die rund 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund sind in den Redaktionsräumen kaum repräsentiert. Es gibt nur wenige Untersuchungen zum Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund unter den Journalisten in Deutschland; Schätzungen gehen lediglich von zwei bis drei Prozent aus. Laut einer repräsentativen Untersuchung in Printmedien von 2009 sind weiße deutsche Journalisten in 84 Prozent der Tageszeitungen sogar ganz unter sich.

Gleichzeitig haben in einigen westdeutschen Großstadtregionen bereits mehr als die Hälfte der Schulanfänger eine Migrationsgeschichte. Das heißt, die meisten Tageszeitungen werden den Bewohnern und Bewohnerinnen dieses Landes, gerade jungen Leuten – also der künftigen Leserschaft –, überhaupt nicht mehr gerecht. Das Land ist vielfältiger geworden, aber viele Redaktionen haben dies nicht mitbekommen.

Das Bild der Einwanderungsgesellschaft wird hingegen stark von den Medien geprägt. Die gängigen Stereotype, die viele weiße deutsche Journalisten mitbringen, können sich also unhinterfragt in der Berichterstattung niederschlagen, weil es kaum Redakteurinnen und Redakteure mit Migrationsgeschichte gibt, die eine alternative Sichtweise anbieten könnten. Ein Beispiel dafür war das „Jim Knopf-Desaster“ bei „Wetten, dass...“ im vergangenen Jahr. Offenbar hatte kein Teammitglied Markus Lanz davor gewarnt, dass die Aufforderung an alle Augsburger – „Malt euch eure Gesichter mit Schuhcreme an“ – als rassistische Geste aufgefasst werden könnte.

Mediale Integration sollte jedoch nicht nur beim Medienpersonal stattfinden: Auch bei den Inhalten muss die Vielfalt dieser Gesellschaft mitgedacht und reflektiert werden. In den Medien fehlen jedoch oft die Perspektiven von Migranten. Zahlreiche Untersuchungen belegen: Es wird vergleichsweise wenig über die Belange von Migranten und Migrantinnen in Deutschland berichtet; häufiger tauchen sie in negativen Kontexten auf. Emotional aufgeladene Ansagen, die oft die Angst vor ‚Überfremdung' schüren, nehmen den Platz von pragmatisch-zielorientierten Fragestellungen ein – ein Beispiel ist die Debatte um ‚Armutsmigranten' aus Rumänien und Bulgarien.

Diversity muss auch in den Medien eine Selbstverständlichkeit sein

Beim Thema Diversity heißt das Zauberwort unter Experten: Mehrdimensionalität. Es reicht nicht, in eine Talkrunde von weißen deutschen Männern eine Frau oder einen Türken (oder um beides abzudecken: eine türkische Frau) hinzusetzen. Nein, Diversität heißt, dass auf jeder Ebene der Berufswelt – also auch der Medien – Menschen verschiedener Geschlechter, Ethnien, Hautfarben, Alter oder Religionen anzutreffen sind, übrigens auch sexueller Orientierung, auch wenn das eher in den privaten Bereich gehört.

Dieses mehrdimensionale Verständnis von Vielfalt muss deswegen eine Selbstverständlichkeit sein, weil die Einwohnerschaft dieses Landes nicht ausschließlich aus mittelalten weißen heterosexuellen christlichen Männern besteht – warum sollten diese also fast alle Schlüsselstellen des Landes besetzen? Warum sollten ihre Ansichten die Medien prägen? Und zum anderen ist dieser vielfältige Diversity-Ansatz nützlich für die gesamte Gesellschaft, denn Frauen bringen andere Erfahrungen und Kompetenzen mit als Männer, ältere Arbeitnehmer können ihr erprobtes Fachwissen jüngeren Kollegen zugute kommen lassen, Menschen mit Migrationsgeschichte haben internationale Verbindungen und multikulturelle Kompetenzen, die Deutschland in einer globalisierten Welt dringend braucht.

Diversity, Vielfalt, in der Arbeitswelt – auch in den Medien – muss eine Selbstverständlichkeit sein, einfach weil die Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes heterogen sind. Und Diversität ist zukunftsweisend. In wenigen Jahrzehnten werden Europa und Deutschland sehr viel bunter sein – schon jetzt haben in diesem Land rund 30 Prozent der Kinder unter 18 Jahren Migrationsgeschichte. Sie sind die Erwachsenen von morgen. Sie sind die Zeitungsleser, Online-Nutzer und Fernsehzuschauerinnen von übermorgen. Das ist die neue Normalität.

Die Autorin ist Vorsitzende der „Neuen deutschen Medienmacher“, eines bundesweiten Zusammenschlusses von Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Wurzeln. Das Netzwerk setzt sich für mehr Vielfalt in den Medien ein. Informationen unter www.neuemedienmacher.de

Sheila Mysorekar

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