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Medien: Dokumentarfilm: Nächster Halt Bahnhof Zoo

Fahler Rauch. Ein Zug fährt durch den Dunst, nur schemenhaft zu erkennen.

Fahler Rauch. Ein Zug fährt durch den Dunst, nur schemenhaft zu erkennen. Jetzt ist er da, der Augenblick, die kleine Nische hoch am Viadukt nahe des Bahnhofs Friedrichstraße zu verlassen. Der Augenblick, in dem der "Moskau-Paris-Express", wie jeden Abend, um 22 Uhr 53 Tempo aufnimmt, in Richtung Westen. Die Grenzposten lauern. Jetzt nur nicht ausrutschen, nicht das Fußbrett des Wagons verpassen, dann nichts wie hinein in den Zug, in die Toilettenkabine, die Tür verriegeln, das Fenster aufreißen. Und die Mauer vorbeigleiten sehen. Nächster Halt: Bahnhof Zoo.

"Die schönste Fahrt meines Lebens", wird Klaus Herrmann fast vierzig Jahre später der Schriftstellerin und Regisseurin Freya Klier in die Kamera erzählen. Acht Gymnasiasten des Ost-Berliner Max-Planck-Gymnasiums gelang im Januar 1964, zweieinhalb Jahre nach dem Mauerbau, die "Flucht mit dem Moskau-Paris-Express" (ARD, 21 Uhr 45). In ihrem sehr eindringlichen Film erzählt Freya Klier aber auch von einem, der scheiterte: Es ist Kalle Richter, der in Panik den Viadukt heruntersprang, sieben Meter tief, sich beide Beine und einen Arm brach. Er wurde verhaftet, saß acht Monate im Knast und durfte erst elf Jahre später ausreisen.

Nach der Wende treffen sich die Freunde wieder: Jene, die flohen, und jene, die blieben. Es ist eine Begegnung, die nicht spannungsfrei ist, und es auch gar nicht sein kann. Da sind zu viele Brüche und Risse in den Lebenswegen dies- und jenseits der Mauer. Freya Klier lässt die Männer reden, grübeln, schweigen, lachen; die Kamera läuft scheinbar nur nebenbei, ist kein Fremdkörper, nur ein Zuseher, ein Hinhörer. Entstanden ist ein sensibles Psychogramm über Wunden, die schwerer verheilen als gebrochene Knochen.

Erik Heier

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