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Dokumentation: Eine Welt ohne Derivate

In Deutschland ist es noch unbekannt, aber der Sender Arte prüft, ob „Islamic Finance“ eine Alternative zum westlichen Kapitalismus ist.

Zinsen sind verboten, Risiken werden gerecht zwischen Bank und Kreditnehmer geteilt, jedes Bankgeschäft muss reale Gegenwerte haben: Jawohl, kann man nur rufen angesichts der Weltwirtschaftskrise, welche die Auswüchse des westlichen Kapitalismus uns beschert haben. Die gute Botschaft: Es gibt ein Wirtschaftssystem, das auf diesen ethischen Maximen aufbaut, das islamische Finanzwesen („Islamic Finance“), das seit Jahrzehnten in den Golfstaaten, Südostasien und auch der Türkei große Zuwachsraten hat. Ob es hält, was es verspricht, und ob es wirklich eine Alternative sein kann, untersuchen die Autoren Jörg Bundschuh und Matthias Heeder in der spannenden Dokumentation „Vom Bazar an die Wall Street“ für Arte. Dazu haben sie sich zusammen mit dem Wirtschaftsprofessor Volker Nienhaus, der in Kuala Lumpur am International Centre for Education in Islamic Finance lehrt, auf Spurensuche gemacht.

Herausgekommen ist der Einblick in eine in Deutschland noch unbekannte Welt – denn hier gibt es kein Islamic Finance wegen der starren Steuergesetze. Die deutschen Großbanken stecken dennoch schon mittendrin – über ihre Töchter in London oder Dubai. Für Wirtschaftsanwälte in London ist dies ein lukratives Geschäft geworden, für muslimische Rechtsgelehrte in Asien auch. In den Ländern des Golf-Kooperationsrates machen Scharia-kompatible Anlagen bereits 22 Prozent der Gesamtanlagen aus, weltweit sind es erst zwei Prozent.

Positiv wirkt sich die allgemeine Rückbesinnung auf ethische Grundsätze beispielsweise in der osttürkischen Stadt Kayseri aus. Ein Unternehmer im Textilrecycling gibt den fürsorglichen Unternehmertyp, der Geld nicht als Selbstzweck ansieht, der teilen will und durch Stiftungen am Gemeinwohl der Stadt mitwirkt. Ein Arbeiter berichtet, wie partnerschaftlich der Umgang mit dem Chef ist, schließlich seien alle Gläubige, vor Gott gibt es keinen Unterschied. Allerdings räumt der Unternehmer ein, dass er bei 600 Millionen Jahresumsatz nicht ohne konventionelle Kredite ausgekommen sei. Die Golfstaaten sind Pioniere in Islamic Finance – aber mit moralischer Besinnung geht dies nicht einher. Der Film zeigt deutlich, dass die Ausbeutung der Arbeiter aus Südostasien, welche die Glitzermetropole Dubai bauen, keinem der muslimischen Unternehmer ein schlechtes Gewissen verursacht. Die Finanzprodukte am Golf dienen der Gewinnmaximierung. Punkt. Deshalb spricht der französische Experte Olivier Pastré von der „angelsächsischen Finanzwirtschaft in Grün“.

Was im Film noch fehlt, ist die einfache Erklärung, vielleicht mit Grafik, wie das islamische Finanzsystem eigentlich funktioniert: wie sich ein Kunde an der Bank beteiligt, wenn er sein Erspartes einzahlt und später dann an deren Gewinn beteiligt wird. Oder wie der Unternehmer von der Bank die Bagger geliefert bekommt, die er sich bei uns mit dem Geld, das die Bank ihm gegen Zinsen leiht, selbst gekauft hätte. Fazit des Films: Ein nicht ausgereiftes Modell, das interessante Impulse gibt.

„Vom Bazar an die Wall Street“, Arte, 23 Uhr 10

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