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Medien: Du sollst keinen Gott neben Rudi haben

Wickert, Stoiber und Struck übten den Kotau vor Völler, nur Netzer und Delling ließen sich nicht beirren

Was war los am Mittwoch, hier zu Lande und in der Welt? Haushaltsdebatte im Bundestag, es geht hoch her – Deutschland spielt gegen Schottland – die schwedische Außenministerin Anna Lindh kämpft nach einem Messerattentat um ihr Leben (und verliert den Kampf in der Nacht zum Donnerstag) – auf einem noch ungeprüften Video kündigt Osama bin Laden neue Terroranschläge an, es ist der Vorabend des Jahrestages der Anschläge auf das World Trade Centre – Deutschland spielt gegen Schottland. Fußball! Man kann es nicht deutlich genug sagen: Deutschland spielt gegen Schottland Fußball. Es ist noch mehr in der Welt passiert, aber was zählt das schon, wenn Deutschland Fußball spielt gegen Schottland?

Also trat Ulrich Wickert zu später Stunde vor die „Tagesthemen“-Kameras, just zuvor war das Fußballspiel zwischen Deutschland und Schottland in epischer Breite übertragen und seziert worden, und womit machte Ulrich Wickert seine „Tagesthemen“ auf? Mit einem episch breiten Bericht über eben dieses Fußballspiel. Hallooo! hätte man da am liebsten in den Bildschirm gerufen, ist noch jemand zu Hause im Oberstübchen oder sind wir jetzt schon alle verstruckt und lassen, wie der Verteidigungsminister, Arbeit Arbeit sein und grölen, wo wir gehen und stehen: „Es gibt nur einen Rudi Völler!“

War das der tiefere Sinn der Ruckrede, die der Bundestrainer Völler vergangenen Samstag nach missglücktem, ja unterirdischem Fußballspiel, gegen Island ins Fernsehen bellte, diese Pöbelei gegen alle und jeden, die mediokre Leistung ganz schlicht mediokre Leistung nennen? Wenn das der Sinn war, dann hat Völler sein Ziel erreicht: Erst zuckte Struck zurück auf n-tv mit besagtem Gesangsvortrag, dann nahm auch Stoiber in Bayern die populistische Fährte auf, und das Volk des Fußballs setzte sich zum Stammtisch nieder. Nun auch die ARD. So viel Anbiederung war wohl selten, die Redaktion der öffentlich-rechtlichen „Tagesthemen“ übte den Kotau: „Es gibt nur einen Rudi Völler!“ Und du darfst keinen Gott neben diesem haben. Immer auf der Suche nach der Quote.

Das hatten sie nicht verdient gehabt, die Opfer der Völlerschen Ausfälle: Gerhard Delling, Günter Netzer, Waldemar Hartmann. Die hatten nämlich in den Stunden zuvor den samstäglichen Streit abgehandelt, als das, was er doch eigentlich war: ein Knatsch unter Freunden, nichts Grundsätzliches, nichts Persönliches, nichts Beleidigendes. Ein kleines einstudiertes Scherzchen erlaubten sich Delling und Netzer (der von Völler als ehemaliger „Standfußballer“ nieder gegrätscht worden war) zu Beginn der Sendung. Delling: „Also, Herr Netzer, aus dem Stand heraus, was erwartet uns heute?“ Netzer: „Aus dem Stand heraus? Ja, da bin ich ja groß drin…“ Aber das war es dann auch an Anspielungen, in der Folge machten die beiden, was sie besser können als so viele im Lande. Sie kommentierten und analysierten ein Fußballspiel, treffend und unterhaltsam. Und man hatte nicht den Eindruck, als sei es ihr Glück, dass das Spiel selber wenig Ansätze zu härterer Kritik bot, sondern das Glück Völlers. Kaum vorzustellen, dass sie anderenfalls gekuscht hätten und gegeizt mit schärferen Tönen. Wohltuend auch, dass Delling im Gegensatz zu den Vorschau-Filmchen, in denen viel von „Deutschland!“ die Rede war, von „Deutschland!!“ und „Deutschland!!!“ den Hinweis einwarf, dass es sich hier um die Übertragung eines Fußballspiels handelte, ein tröstlicher Verweis auf Prioritäten.

Und Waldemar Hartmann, der so standhaft war am Samstag und anschließend so penetrant Völlers Injurie von seinem Weißbierkonsum wiederholte, bis er drei Werbeverträge angeboten bekam? Der blieb standhaft, interviewte Völler nach dem Sieg über Schottland in gewohnter Form, verkniff sich wohl beraten jedwede Anspielung, standhaft bis zur Verabschiedung. „So, Rudi“, sagte Hartmann, „mit deiner Erlaubnis, darf ich jetzt ein Weißbier trinken.“ Immerhin, auch diese Wahl eine Priorität.

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