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Medien: Ein Fehler – und der Leser kocht

Stimmen die Rezepte in Gourmet-Zeitschriften nicht, bekommt der Chefredakteur Pakete

Der Leser, das unbekannte, kapriziöse Wesen. Wenn man nur wüsste: Was er wollte. Dann könnte man alle seine Wünsche erfüllen. Und die Auflage stiege ins Unermessliche. Wunschtraum aller Chefredakteure von Zeitungen und Zeitschriften. Nur einer, Peter Ploog, Chefredakteur von „essen & trinken“, der ältesten Gourmetzeitschrift Deutschlands, kennt dieses Problem nicht.

Ganz im Gegenteil. Denn die Leser schicken gerne etwas ins Hamburger Verlagshaus. Manchmal stapeln sich die Pakete auf dem schönen Schreibtisch des Chefredakteurs, der nach elf Jahren Dienst am Geschmack Ende des Jahres in Pension gehen darf. Zum Beispiel, wenn irgendwer in der Redaktion übersehen hat, dass in einem Rezept von 200 Gramm Mandeln die Rede war, obwohl es nur 20 Gramm hätten sein sollen. „Das wird dann ziemlich bitter“, sagt Ploog. Oder wenn bei dem Rezept für einen Mürbeteig die Angabe für Butter fehlt. „Nicht viel weniger bitter“, sagt Ploog, „für die Leser - und für uns". Wenn ein Rezept nicht funktioniert, dann beehren die Leser die Redaktion mit den Ergebnissen ihrer Kochversuche. Paketzeit für den Chefredakteur.

Einmal stand in einem Rezept die Empfehlung, eine Tasse Safran zu verwenden. Eine Tasse, wo doch schon ein paar Gramm ein kleines Vermögen kosten. Ein Bankier aus Bad Homburg schrieb daraufhin an Ploog, er sei bereit, die fälligen Kleinkredite an die interessierte Leserschaft zu vermitteln.

Damit diese Fehler auch Ausnahmen bleiben, gönnt sich das Verlagshaus Gruner + Jahr eine hauseigene Versuchsküche. Hier wird an elf Herden vorgekocht, was an Rezepten in den Zeitschriften „essen & trinken“, „schöner essen“ und „living at home“ veröffentlicht wird. Für „essen & trinken“ allein sind fünf Köche zuständig.

An silbernen Herden und nur durch Glas vom Himmel getrennt probieren sie aus, was ihnen an Ideen durch den Kopf gegangen ist. Und das ist eine ganze Menge.

Jeden Monat müssen Achim Ellmer, der seit zwei Jahren die Versuchsküche leitet, und seine Köche 180 Rezeptvorschläge entwickeln, von denen am Ende nicht mehr als 60 übrig bleiben. Dann sieben Redaktion und Kochbrigade aus, das Ziel immer fest im Blick: Rezepte für die gehobene Küche, kreativ und möglichst originell. Aber nicht zu originell, denn da versteht der Leser, das eben manchmal nur zu gut bekannte Wesen, absolut keinen Spaß.

Die fünf Kriterien, nach denen entwickelt und gekocht wird: Das Rezept muss gut nachkochbar, lesbar und relativ einfach sein. Das Gericht muss gut schmecken, und es muss gut aussehen. Jedes Rezept wird drei Mal gekocht, ehe es reif fürs Heft ist. Der Praktikantentest entscheidet: Jedes Rezept wird zuletzt von einem der Versuchsküchenpraktikanten nachgekocht. Wenn der es kann, dann kann es auch der Leser.

Das endgültig letzte Wort hat Achim Ellmer. Der Chef der Küche weiß, wovon er spricht. Er hat bei Sterneköchen wie Johann Lafer und Franz Raneburger gelernt und sich dann in der europäischen Spitzengastronomie getummelt, weil er sehen wollte, „was es sonst noch gibt". Auch er war einmal einer dieser Versuchsküchenpraktikanten. Man erinnerte sich an ihn, als der alte Chefkoch in Rente ging. Jetzt überwacht Ellmer nicht nur die Küche, er kümmert sich auch um die Kontrolle des Einkaufs und verhandelt mit den Lieferanten, wenn die im Dezember für drei Köpfe Rotkohl 15 Euro verlangen. Oder für ein Kilo Knupperkirschen aus Chile 29 Euro fällig sein sollen.

Kein Gericht wird zur Veröffentlichung freigegeben, hat es nicht der Küchenchef abgesegnet. Aber auch der Chefredakteur muss sein Plazet geben.

Peter Ploog hat ausgerechnet, dass er in seinen elf Jahren bei „essen & trinken“ knapp 13 500 Rezepte probiert hat. Hat probieren müssen. Das hat ihm in den ersten beiden Jahren 20 Kilo mehr an Eigengewicht eingebracht, von denen sich zu befreien er bis heute nicht ganz geschafft hat. Außerdem waren da noch „ein Herzinfarkt und ähnliches“, sagt Ploog - und lächelt wie ein Mann, der in seinem Leben alles gesehen hat.

Wer darf schon im August, wenn die Sonne den schönen Innenhof der Versuchsküche, in dem zwei japanische Zierkirschen Schatten spenden, auf 25 Grad erwärmt, 100 verschiedene Weihnachtsplätzchen probieren oder sich durch 20 Gans-Rezepte futtern, die im Dezember-Heft den Lesern viel Freude machen sollen? In aller Regel werden die Rezepte ein Jahr im Voraus produziert. Man könnte die Spargelrezepte, die in der Mai-Nummer stehen werden, auch im Februar produzieren. Aber nur mit Spargel, der aus Griechenland oder Spargel kommt. Spargel aus Deutschland gibt es ja nicht zu dieser Jahreszeit.

Und das, sagt Achim Ellmer, geht nicht. Qualität ist alles - gepfuscht wird nicht in seiner Versuchsküche. Weil erstens der Spargel gut und frisch aussehen und zweitens so gut schmecken muss wie der Spargel, der im Mai aus Schwetzingen oder Beelitz kommt - wenn der Leser das Blatt aufschlägt. Selbst für das Foto des fertigen Rezeptes wird nichts manipuliert – gekocht, arrangiert, fotografiert, fertig. „Wir würden nie eine Ente aufblasen oder mit Lack auffrischen, wie das in der Werbung gemacht wird“, sagt Ploog.

Dem Chefredakteur ist nichts Menschliches fremd. Aber seine Liebe zum Natürlichen hat einen durchaus handfesten Grund. Da ist er wieder: der Leser, das schreibende Wesen. „Die Leser wären sauer“, sagt Ploog. Und wen würden sie es zuerst spüren lassen? Natürlich, ihn. Warum sich nicht unnötigen Ärger vom Hals halten? Wovon schwärmt eigentlich einer, der alles gesehen und probiert hat, wovon wir gewöhnlichen Sterblichen nicht einmal träumen? „Wenn Sie einen kleinen, festen Steinpilz finden, dann hobeln Sie den rohen Pilz, solange er noch frisch ist, und geben drei Tropfen Olivenöl dazu – ein Traum, das Beste." Eine Empfehlung mit philosophischen Zügen.

Achim Ellmer, mit seinen 37 Jahren der junge Wilde der Versuchsküche, muss seine Küche heil zwischen den Klippen Klassiker und Experiment durchbringen. Experimente müssen sein, weil „es in der modernen Küche keine Grenzen mehr gibt“ – alles ist möglich: im Prinzip. Klassiker müssen bleiben, wie sie sind – aber in neuer Form. Zum Beispiel rheinischer Sauerbraten, mit Kaninchen statt Rind. Sehr gut kam zuletzt auch der asiatische Kaninchen-Sauerbraten an. Woher Ellmer das weiß? Keine Päckchen für den Chefredakteur.

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