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Medien: Ein großer Reporter

Hans Ulrich Kempski ist gestorben

Es gibt den rasenden Reporter. Es gibt den Enthüllungsjournalisten. Es gibt die Schönschreiber mit den geputzten Adjektiven. Hans Ulrich Kempski war überall auf der Welt, meistens mehrmals. Er hat Scoops gelandet, die zu journalistischen Anekdoten wurden. Aber was er war, entzieht sich den gängigen Klischees des Gewerbes. Er war ein großer Reporter, aber in unverwechselbarer, mit den Jahren zur Legende werdender Weise – durch genaue Beobachtung, durch das Hineindenken in Personen und Situationen, durch die Sensitivität für Kontext und Hintergrund. Mit seinen Seite-Drei-Geschichten in der „Süddeutschen Zeitung“, die er ein halbes Jahrhundert lang schrieb, hat er im deutschen Journalismus Epoche gemacht. Er hat das Genre der politischen Reportage für die Nachkriegspresse beispielhaft geprägt und durchgesetzt: Ein Begründer, der Klassiker wurde – in einem Metier, das sich beständig wandelt.

Den Blick auf das Phänomen Kempski zurückzuwenden, gibt auch einen Eindruck davon, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Kein Pointengeknatter, keine originalitätssüchtigen Zuspitzungen, stattdessen Handwerk, aber vom besten, präzise ausgemalte Details und die Anstrengung, so nahe und so eindringlich wie möglich an den Gegenstand des Berichtens heranzukommen, die Person und das Ereignis. So hat er dem Leser die Politik und die Welt geöffnet, zumal in den Jahren vor der Bilderflut und der Ubiquität der Informationen. Er hat ihnen ihre Gestalten nahe gebracht, von Adenauer bis Zhou Enlai, von Brandt bis Kennedy und Breschnew, hunderte von Konferenzen und Parteitagen vor ihre Augen gestellt und das im Wortsinn: Wer Kempski las, hatte den Eindruck – und sollte ihn haben –, selbst dabei gewesen zu sein.

Von heute aus gesehen mag dieser Umgang mit der Politik, ihr Verwandeln in Geschichten, die Physiognomie und Farbe haben, eine einleuchtende Dramaturgie und fassbar gemachte Hintergründe, fast altmodisch erscheinen. Es ist aber eine Kultur der journalistischen Arbeit, von der man sicher sein kann, dass sie ihren Rang behält. Jedenfalls sind Generationen von Lesern danach süchtig gewesen. Sie haben vermutlich auch gespürt, dass dahinter ein Mann stand, der sein Metier mit Fairness und Respekt, aber ohne die geringste Spur des Sich-Anbietens oder des Politikmachens auf eigene Faust betrieb. Und, das muss hinzugefügt werden, mit großer Gründlichkeit und Ausdauer. Seine Reportagen waren stets aktuell im besten Sinn des Wortes, aber sie waren auch das Ergebnis langer Beschäftigung mit ihrem Gegenstand.

Und denkwürdig war auch der Mann selbst: eher klein, drahtig, seit Menschengedenken kahl, braun, als käme er vom Skifahren oder Schwimmen, lässig einen mächtigen amerikanischen Schlitten kutschierend. Er wusste, wer er war, aber er ließ es niemanden spüren. Geboren in Hinterpommern, vier Mal im Krieg verwundet, ab 1949 bei der „Süddeutschen“, am Sonntag im Alter von 85 Jahre gestorben: Es wird seinesgleichen, nehmt alles nur in allem, nicht mehr geben. Rdh.

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