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Medien: Eine Art fünfte Gewalt

Spendenakquise und Meinungsmache: Der US-amerikanische Wahlkampf entdeckt das Internet

An einem Dienstagmorgen, Anfang Juli, schickte John Kerry ein paar E-Mails ab, bevor er sich auf den Weg zu einer Rede in Pittsburgh machte. Ein normaler Tagesbeginn im Wahlkampf – doch unter den Mails war eine, die Aufmerksamkeit erregte: Versendet wurde sie an rund eine Million Demokraten, die ihre E-Mail-Adresse auf Kerrys Homepage hatten registrieren lassen. Die Mail enthielt die Nachricht, dass John Edwards Kerrys Mitstreiter und damit gegebenenfalls amerikanischer Vizepräsident werden würde. Gleichzeitig wurde diese Information im Internet veröffentlicht – und erst 45 Minuten später war sie in der Rede Kerrys zu hören. Eine Wahlkampf-Entscheidung, die am nächsten Tag bei allen größeren Zeitungen auf der Titelseite stand, wurde damit zuerst im Internet publiziert. Das hatte es bis dahin noch nicht gegeben.

Beim nationalen Parteitag der Demokraten, der heute beginnt, soll John Kerry offiziell seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten von der Partei annehmen. Und auch hier gibt es ein Novum. Das Internet wurde bei der Vergabe von Presseausweisen stärker berücksichtigt als bisher. Eine neue Form des journalistischen Arbeitens: Erstmals sind so genannte Blogger bei einem Parteitag einer der beiden großen amerikanischen Parteien zugelassen. Blogs sind Internetseiten, auf denen regelmäßig neue Einträge erscheinen – ein Anzeichen für die veränderte Bedeutung des Internets im US-Wahlkampf insgesamt.

Im Stunden-Takt veröffentlichen politische Blogger ihre Neuigkeiten: Kommentare zu aktuellen Geschehnissen, zu Zeitungsartikeln, Zitate daraus, Links, Fotos, Karikaturen. „Die Leute haben keine Lust mehr, auf Fernsehberichte am Abend oder auf die Tageszeitung am nächsten Morgen zu warten“, sagt Michael Cornfield, Wissenschaftler beim „Pew Internet & American Life Project“, einem US-Internet-Forschungszentrum. Um bei der Schnelligkeit mit großen, unabhängigen Blogs wie atrios.blogspot.com oder www.instapundit.com mitzuhalten, haben die Kandidaten Bush und Kerry ihren offiziellen Seiten offizielle Blogs hinzugefügt. Auch die New York Times folgt dem Trend (nytimes.blogspace.com), und die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) startet zum Parteitag der Demokraten ihren ersten Web Log, auf dem ein Pulitzer-Preisträger, Walter Mears, Bericht erstattet.

Die unabhängigen Blogs werden oft nur von Einzelnen oder einer kleinen Gruppe von zwei bis drei politisch Engagierten produziert. Sie treibt vor allem ein Motiv an: Sie wollen sich vehement für ihre politischen Ansichten einsetzen. Auf journalistische Richtlinien wie Objektivität und eine saubere Trennung zwischen Meinung und Fakten kommt es ihnen weniger an. In einigen Fällen waren Blogger so erfolgreich, dass die von ihnen angeregten Diskussionen von großen Zeitungen und Fernsehsendern aufgegriffen wurden. Bekannt wurde der Fall des republikanischen Senators Trent Lott, der eine Äußerung im Senat machte, die sich als Zustimmung zur Rassentrennung verstehen ließ. Resultat: Lott musste als Mehrheitsführer im Senat zurücktreten.

Dem Einfluss der Free-Blogger als Nachrichtenbeschleuniger und Stimmungsmacher zollen die großen Parteien nun Tribut. Bei den Republikaner steht fest, dass auf ihrem Parteitag Anfang September Blogger dabei sein werden. 35 Presseausweise sind bei den Demokraten vergeben worden, beispielsweise an Jesse Taylor von www.pandagon.net oder Jeralyn Merritt von talkleft.com. Insgesamt werden 15 000 Presservertreter erwartet.

Der Zahlenvergleich legt nahe, dass sich der Einfluss der Blogs noch in überschaubaren Grenzen hält. So sieht das auch Internetforscher Michael Cornfield. Die Bedeutung der Blogs werde überschätzt. Für unterschätzt hält er dagegen die Rolle des Internets insgesamt im Wahlkampf. „Das Netz spielt im diesjährigen Wahlkampf eine sehr viel größere Rolle als im letzten. Seine Bedeutung ist zehnmal so groß“. Nach Einschätzung des Pew Projects beziehen 20 Prozent der US-Amerikaner ihre Informationen über den Wahlkampf aus dem Internet – nicht nur von Blogs, auch von den offiziellen Seiten der Kandidaten, denen ihrer Parteien, Internetportalen diverser Zeitungen und News-Channels oder den satirisch-humoristischen Seiten von Privatleuten.

Bush und Kerrys Gründe, das Internet zu mögen, sind allerdings auch materieller Natur. Über ihre Webseiten sind sie zu vielen Millionen Dollar Wahlkampfspenden von privaten Spendern gekommen. Nach Informationen der „New York Times“ hatte Kerry in den ersten sechs Monaten des Jahres 56 Millionen US-Dollar eingenommen. „Mit dem Geld kann Kerry mehr TV-Spots senden“, so Cornfield. Für die meisten Amerikaner ist das Fernsehen nach wie vor die Hauptquelle für Wahlkampf-Informationen. Aber wer weiß, wie vielen Amerikanern John Kerry in Zukunft E-Mails schickt.

Der Wahlkampf im Internet:

www.georgewbush.com/blog

http:// blog.johnkerry.com

Juliane Schröter

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