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Nerit heißt der Nachfolgesender des ehemaligen Staatsfunks ERT. Künftig soll auf dem Hauptgebäude des Senders wieder der alte Name stehen.

© AFP

Eingelöstes Wahlversprechen: Griechisches Staatsfernsehen geht wieder auf Sendung

Die griechische Regierung macht die Schließung des Staatsfunks rückgängig. Die ersten Personalentscheidungen stimmen jedoch in punkto Unabhängigkeit skeptisch.

Auch vier Monate nach dem Wahlsieg des radikalen Linksbündnisses Syriza in Griechenland ist die Liste der unerfüllten Wahlversprechen noch sehr lang. Am Montag kann Ministerpräsident Alexis Tsipras allerdings einen Punkt als erledigt abhaken: Fast zwei Jahre nach der Schließung durch die damalige konservativ geführte Regierung erlebt der Staatsfunk Elliniki Radiofonia Tileorasi, kurz ERT, eine Wiederauferstehung. Nachdem das Parlament mit den Stimmen der Regierungsfraktionen Ende April die Wiedereröffnung des Senders beschloss, soll die Anstalt am Montag ihren Sendebetrieb aufnehmen. Premier Tsipras hat sich zur Feier des Tages persönlich im Funkhaus an der Mesogeion angesagt – schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass er ein Wahlversprechen einlöst.

Auch Vassilis Gatzos hofft auf einen Neuanfang. Er war als Techniker bei der Staatsanstalt ERT beschäftigt. „Ich dachte, das wäre ein sicherer Job“, sagt Gatzos. Dann kam die überraschende Schließung im Juni 2013, und der 42-Jährige verlor quasi über Nacht seine Stelle. „Fast zwei Jahre lang habe ich mich mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen, jetzt will ich mich bei der neuen ERT bewerben“, sagt Gatzos. Wie Gatzos standen 2656 Beschäftigte auf der Straße.

Die Schließung des Staatsfunks war im Sommer 2013 ein tiefer Einschnitt in der griechischen Mediengeschichte des Landes und zugleich eine politische Zäsur. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ließ der damalige konservative Ministerpräsident Antonis Samaras ERT dichtmachen. Am Nachmittag des 11. Juni 2013 sickerten erste Informationen über die bevorstehende Schließung an die Öffentlichkeit. Bis Mitternacht wurden die Sendeanlagen im ganzen Land abgeschaltet.

Hintergrund der Schließung: Bis Ende Juni 2013 musste Samaras auf Weisung der Troika mindestens 2000 Staatsbedienstete entlassen. Mit der Schließung des Staatsfunks hatte er dieses Soll auf einen Schlag übererfüllt. Die unerwartete Schließung des Senders sorgte für heftige Turbulenzen. Sie führte zum Ausscheiden der Splitterpartei Demokratische Linke aus der Regierungskoalition. Manche politische Beobachter sehen rückblickend in der Auslösung des Staatsfunks den schwersten politischen Fehler von Premier Samaras.

300 Millionen Euro verschlang der alte Sender jährlich

Die Regierung begründete den drastischen Schritt damit, ERT stehe „auf faulen Fundamenten“. Tatsächlich waren in den Jahren zuvor mehrere Versuche, den Staatssender zu reformieren, kläglich gescheitert. Das lag allerdings vor allem an den Politikern. Die jeweiligen Regierungen schanzten linientreuen Journalisten gut dotierte Jobs bei ERT zu und sicherten sich so eine staatstragende Berichterstattung. Ein Blick in die Gehaltslisten des früheren Senders spricht Bände: Der Nachrichtenchef bekam 27 000 Euro im Monat, die Sprecherin der Abendnachrichten 18 300 Euro. Dennoch lag die Zuschauerquote der Hauptnachrichtensendung zuletzt bei nur sechs Prozent. 300 Millionen Euro verschlang der Staatssender jedes Jahr. Weil die Gebühren- und Werbeeinnahmen nicht reichten, wurde ERT ständig aus dem Staatshaushalt bezuschusst. Trotz des Regierungseinflusses war die Qualität vieler Sendungen auf hohem journalistischen und künstlerischen Niveau.

Die Schließung von ERT löste internationale Proteste aus. In Griechenland kam es zu Solidaritätsstreiks und Demonstrationen. Einige frühere Mitarbeiter hielten das ERT-Gebäude monatelang besetzt. Im Mai 2014 ging als Ersatz der ERT-Nachfolger Nerit auf Sendung, mit drastisch zusammengestrichenem Programm und nur noch 800 Mitarbeitern.

Der neue Sender hat 2300 Mitarbeiter

Der damalige Oppositionschef Tsipras kündigte an, eine der ersten Gesetzesinitiativen einer von ihm geführten Regierung werde der Wiederöffnung von ERT gelten. Das löst er jetzt ein. Die neue Anstalt soll rund 2300 Beschäftigte haben. Das Jahresbudget wurde auf 60 Millionen Euro festgesetzt. Aufgebracht werden soll das Geld durch eine Rundfunkgebühr von monatlich drei Euro pro Haushalt und Werbeeinnahmen.

Die Fernsehzuschauer werden von dem Wechsel zunächst wenig bemerken. Das Nerit-Programm dürfte einstweilen weiterlaufen, nur das Logo soll sich ab Montag ändern – ERT statt Nerit. Wie regierungstreu oder wie unabhängig der neue, alte Staatsfunk sein wird, bleibt abzuwarten. Eine erste Personalentscheidung stimmt allerdings skeptisch. Zur Vorsitzenden des neuen Rundfunkrates bestimmte die Regierung Lina Alexiou, die Mutter der einflussreichen Syriza-Politikerin und Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou. Das riecht nach Nepotismus.

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