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tom bartels

© SWR

EM 2008: Der Tempomat

Kontrollierte Offensive: Tom Bartels hat sich mit ruhigen Tönen bei der ARD ins EM-Finale kommentiert. Er setzte sich gegen Steffen Simon durch, der vielen Fans auf die Nerven geht.

Da stand er nun, zwei Meter vor dem Tor und schoss den Ball steil nach oben statt ins Netz. Eine Szene wie beim Dorfkick. Der Blackout hatte mehrere aparte Folgen: Millionen deutscher Fußballfans erkoren Mario Gomez zur Pflaume der Nation, Deutschland verpasste beim EM-Vorrundenspiel gegen Österreich eine frühe 1:0-Führung, und der ARD-Reporter Tom Bartels zeigte eine ungewohnte Seite. Bartels war regelrecht empört, ehrlich empört, als hätte man ihn persönlich beleidigt. „Das ist unfassbar“, fauchte er ins Mikrofon, „das ist unglaublich.“ Er schrie jetzt nicht, weil er eigentlich nie schreit, aber die Tonlage war anders. Dieses Kontrollierte war weg, für zwei kurze Sätze offenbarte sich der hochemotionale Tom Bartels. Man wusste jetzt, wie er ist, wenn er ganz aus sich herausgeht. Er wird nicht fast hysterisch. Keine unangenehme Erfahrung. Sekunden später hatte er seine Gefühle wieder zurückgeschraubt. Er war wieder der typische Bartels.

Vermutlich ist er deshalb der richtige Mann fürs EM-Finale. Tom Bartels, der 42-jährige Kölner, der Mann mit der sonoren Stimme, kommentiert heute in Wien Deutschland – Spanien (ARD, 20 Uhr 45). Die ARD-Sportchefs hatten sich schon Wochen vor der EM in einer Telefonschaltkonferenz mehrheitlich für ihn entschieden. Das war einerseits eine ungewöhnliche Personalie. Denn Bartels wechselte erst 2006 zur ARD, nach zehn Jahren bei RTL und Premiere. Und er setzte sich gegen Steffen Simon durch. Der geht vielen Fans zwar auf die Nerven, aber er ist immerhin Sportchef des WDR. Ob sich Simon bei der Abstimmung enthalten hat, ist nicht bekannt.

Andererseits war es eine fast logische Entscheidung. Tom Bartels ist einfach ein guter Kommentator. Er ist fachlich kompetent, natürlich, aber er hat vermutlich nicht viel weniger Fehler gemacht als seine Kollegen. Und auch Bartels hat bei der EM schon mal einen der besseren 15-Meter-Pässe gleich als „brillant“ eingestuft. Aber das sind Ausnahmen. Bartels ist ein guter Kommentator, weil er sich abhebt in diesem Rudel der Marktschreier, die bei der ARD Fußballspiele kommentieren. Er ist ein Kontrapunkt zu den Reportern, die authentisch emotional wirken wollen, aber in ihrer fast hyperventilierenden Art oft nur unsäglich peinlich sind. Und am unsäglichsten sind sie, wenn sie jede zweite Partie, die mal nicht in trostloser Langeweile versinkt, gleich „zum verrückten Spiel“ hochschreien. In drei Jahren wird die einzige Aktion, die nicht verrückt ist, der Anpfiff des Schiedsrichters sein.

Und Tom Bartels? Bartels hat seit EM-Beginn nicht einmal „verrücktes Spiel“ gesagt, nicht mal nach dem sensationellen Ausgleich der Türken gegen die Kroaten in der Verlängerung. Die Szene mit Gomez zeigte, dass er sogar in stärksten emotionalen Momenten nicht zu einem dieser Marktschreier wird.

Irgendwie erinnert Bartels an einen Tempomaten. Der sorgt dafür, dass eine bestimmte Geschwindigkeit nicht überschritten wird. Bei Bartels wird eine bestimmte Dosis an Emotionen nicht überschritten. Das könnte fatal sein, wenn diese Art ins Dröge und Langweilige kippen würde. Doch bei Bartels kippt nie etwas. Deshalb verkörpert er jene Mischung aus Kompetenz und Seriosität, die einen Kommentar eine Spielzeit lang erträglich macht.

Natürlich nicht für alle. Natürlich ist er vielen zu emotionsarm. Ein Reporter kann nur darauf achten, die Zahl seiner Feinde vor dem Schirm so gering wie möglich zu halten. Steffen Simon ist bei dieser EM ja längst nicht so phrasenhaft und laut wie sonst, aber das registriert man nicht mehr. Er steckt zu sehr in seinem selbst verschuldeten Image. Bartels sagt auch: „Ich weiß, dass einige Leute sich die Ohren zuhalten, wenn ich kommentiere.“ Aber das sind vergleichsweise wenige. „Bild“ gab ihm bei der EM die Note „Zwei plus“. Simon kam zu einer „Vier“, ZDF-Kollege Wolf-Dieter Poschmann erhielt eine „Sechs minus“. Das ist Boulevard, klar, man darf das nicht zu eng sehen. Wichtig ist die Tendenz, Bartels punktet mit seiner Zurückhaltung. „Den größten Wert lege ich darauf, das Spiel genauso wiederzugeben, wie es war“, sagte er dem „Kölner Stadtanzeiger“. In Köln lebt er, mit Freundin Tina und den beiden Kindern. Hier hatte er auch an der Sporthochschule studiert. Bartels ist Diplom-Sportlehrer. Der Bartels am Mikrofon ist nicht anders als der Bartels bei der täglichen Arbeit. Ein bienenfleißiger Mann, der sich nicht produziert, der bei Veranstaltungen bescheiden, aber souverän auftritt. „Ich habe mich nicht um die Stelle als Kommentator des Finales beworben“, sagt er. „Ich war selber überrascht, dass ich gewählt wurde.“ Es spricht wenig dagegen, dass das stimmt. Und, das sagt er auch: „Ich sehe mich nicht als jemand, der die Weisheit mit Löffeln gefressen hat.“

Wie denn auch? Er hatte ja selber bloß Fünfte Liga gespielt, damals als Mittelfeldspieler beim TuS Melle. Aber schon als Kind, zu Hause in Celle, hatte er mit Stofftieren Fußballspiele nachgestellt und lautstark kommentiert. Später dann ein Praktikum bei der „Oldenburgischen Volkszeitung“ im Sport, als Student Mitarbeiter des Süddeutschen Rundfunks (SDR). Später betreute er beim SDR die Bundesligisten Karlsruhe und Stuttgart, bei der EM 1996 war Bartels im Reporterteam der ARD. Dann der Wechsel zu RTL, dort durfte er neben Fußball auch noch Skispringen kommentieren. Bei RTL fiel Bartels noch mehr auf im Feld der Reporter als bei der ARD. Richtig geschadet hat ihm das im Sender allerdings nicht, weil er natürlich auch nicht immer für die reine Lehre stand. Bartels werde wohl „pro Wort bezahlt“, höhnten die „Stuttgarter Nachrichten“.

Das ist längst vorbei. Hagen Boßdorf hatte als Sportkoordinator der ARD Tom Bartels geholt, „weil er einfach ein ausgezeichneter Reporter ist“. Deshalb gaben sie ihm auch noch Schwimmen als Sportart. Sie war ihm fremd, diese Sportart, er hat sich gut eingearbeitet.

Aber wen interessiert jetzt Schwimmen? Tom Bartels arbeitet derzeit auf seinem Spezialgebiet, und er muss auch heute Abend die erträgliche Dosis an Emotionen nicht überschreiten. Für die Überdosis werden schon seine Kollegen sorgen, ganz in bewährter Manier. Frage eines ARD-Reporters nach dem Spiel Türkei – Kroatien an den Türken Hamit Altintop: „Was sagen Sie zu dieser verrückten Endphase der Verlängerung?“

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