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Alles ist in ... Die Fernsehspots, die Charles Wilp für Afri Cola gedreht hat, waren mindestens so erfolgreich wie die Brause selbst. Die US-Sängerin Donna Summer ließ sich 1970 dafür engagieren, die Erotik und Exotik des Getränkes mit vollem Körpereinsatz zu vermitteln.

© bpk / Charles Wilp

Experimentelles Fernsehen: Schieß mich tot

Als Fernsehen und Kunst miteinander wollten: Eine Ausstellung im Berliner Filmhaus dokumentiert die Fernsehgeschichte der 60er und 70er Jahre - und zeigt, wie Grenzen lustvoll ausgetestet wurden.

An Kritikern hat es nie gemangelt. Im Mai 1978 forderte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in der „Zeit“ einen fernsehfreien Familientag. Exzessiver Fernsehkonsum zerstöre die Kommunikationsfähigkeit und das menschliche Miteinander. Ein halbes Jahr zuvor, am 23. Dezember 1977, hatte die „FAZ“ angekündigt, die Fernsehsender hätten entschieden, das diesjährige Weihnachtsprogramm ausfallen zu lassen. Ein Sturm von empörten Anrufen war die Folge.

Ja ja, das böse Medium Fernsehen. Ein Gerät, das Joseph Beuys 1966 mit Boxhandschuhen traktiert und in Filz verpackt hatte, das Wolf Vostell 1963 mit Stacheldraht umwickelt und begraben hatte oder in Wuppertal rituell hatte erschießen lassen. Andere sahen das lockerer, Mitte der Sechziger entdecken Regisseure und Künstler, Musiker und Designer die Vorzüge des Mediums für sich: MAZ, Bluebox und Stanztechnik eröffneten neue Möglichkeiten. Und das Publikum war auch schon da, zuverlässig jeden Abend im Wohnzimmersessel.

Bewusste Störmanöver nehmen zu. So konnte es passieren, dass der Fernsehzuschauer im Oktober 1969 nach den Nachrichten um 20 Uhr 15 und noch einmal um 21 Uhr 15 mit zwei Sekunden Schwarz-Weiß-Film konfrontiert wurde, der kommentar- und zusammenhangslos in das laufende Programm, etwa in eine Lotteriewerbung, eingeblendet wurde. Der Künstler Keith Arnatt nannte diese neunteilige Aktion „Self Burial“ und zeigte darin, wie er sich selbst in die Erde eingrub. Und der französische Zeichner und Autor Jacques Rouxel erfreute ein französisches Millionenpublikum ab 1968 zur Hauptsendezeit mit 159 Folgen seiner Zeichentrickserie „Les shadoks“ – ein Jahr später wurde die erste Staffel auch in der ARD um 20 Uhr 15 gezeigt.

Es ist die Geschichte einer Emanzipation, eines lustvollen Austestens der Grenzen, die Gerlinde Waz und Antje Materna im Berliner Museum für Film und Fernsehen mit ihrer inspirierten Sonderausstellung „Experimentelles Fernsehen der 1960er und 70er Jahre“ dokumentieren. Nicht immer verlief der Weg über Konfrontation. Ein Lob gebührt etwa dem Dramaturgen Reinhart Müller-Freienfels, der in langen, geduldigen Briefwechseln Samuel Beckett dazu bewegt, für den damaligen Süddeutschen Rundfunk fünf karge Fernsehfilme zu entwerfen – sogar das Rauchverbot im Studio wird für den Meister aufgehoben. Und ein ebenso großes Lob für den Westdeutschen Rundfunk, der 1971 die Zuschauerproteste gegen Peter Zadeks psychedelischen Antikriegsfilm „Der Pott“ aussitzt und in einem Schreiben nüchtern konstatiert, der Film habe bei Zuschauerbefragungen die Bewertungsnote minus 4,7 erhalten, was heißt, siebzig Prozent der Zuschauer lehnten ihn vehement ab. Ein Jahr zuvor hatte es übrigens heftige Zuschauerproteste gegen Vicky Leandros und ihr Pop-Experiment „Ich bin“ gegeben, weil sie ihr Lied am Rednerpult im Deutschen Bundestag singt.

Überhaupt: Die Siebziger. Waren in den Sechzigern mit Beckett und den frühen Musikshows von Truck Branss lange Einstellungen, Minimalismus und Formenstrenge vorherschend, explodiert ab 1969 mit Pop Art und Beat der Bildschirm in psychedelischen Formen und Farben, in wilden Schnitten und Montagen. „Idea“, die Fernsehshow, die der französische Regisseur Jean Christophe Averty und der belgische Comiczeichner Guy Peellaert entwerfen, die „Dusty Springfield Show“ von 1969, der „Beat-Club“ von Michael Leckebusch, Charles Wilps Afri-Cola-Werbefilme voll „Super-sexy-mini-flower-pop-op-cola“, das ist die große Zeit der Bildschirmexperimente. Jean Christophe Averty konstatiert, auf dem Fernsehbildschirm hätten Techniken wie Tiefenschärfe und Bildaufbau keinen Sinn, weil der Fernsehzuschauer locker das Gesamtbild überblicke, während er es auf der Kinoleinwand nur abschnittsweise wahrnehme. Peter Zadek, der für „Der Pott“ ebenfalls mit Guy Peellaert zusammenarbeitet, hat das die „Intimität beim Fernsehen“ genannt: „Klein, aber mein“.

Regisseur Gerry Schum schließlich war mit seiner „Fernsehgalerie“ ein Pionier der Kunstvermittlung im Fernsehen – das Projekt wurde allerdings nach zwei Sendungen eingestellt, weil die Programmverantwortlichen Schums Idee der kommentarlosen Künstlerbeobachtung nicht tragen wollten. Weihnachten 1969 ließ er nach Sendeschluss dafür täglich drei Minuten lang ein Lagerfeuer aufflackern. „TV as a fireplace“ hieß seine Kunstaktion. Gemütlichkeit für Bildschirm-Pioniere.

Museum für Film und Fernsehen Berlin, Filmhaus Potsdamer Platz, bis 24. Juli, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr.

Christina Tilmann

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