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Vater-Tochter-Drama: Karl (Thomas Thieme) und Sophie (Lisa Wagner, rechts).

© ARD Degeto/Bernd Schuller

Familiendrama: In „Gestern waren wir Fremde“ brillieren Lisa Wagner und Thomas Thieme

Der Fernsehfilm „Gestern waren wir Fremde“ kommt dem Geheimnis einer Familie auf die Spur.

Das dürften viele kennen: Es gibt Familienangehörige, bei denen stets zu spüren ist, dass sie etwas zurückhalten, dass es so viel mehr zu sagen gäbe als das, was sie eigentlich sagen. Doch sie tun es nicht. Sie schweigen. Oder sie reden über unverfängliche, banale Allgemeinplätze. Es ist latent zu spüren, dass es da aus der Vergangenheit etwas gibt, das die Gegenwart einfärbt, sie prägt. Und statt die Zukunft anders oder neu zu gestalten, etwas zu verändern, belassen sie alles so, wie es ist. Aus Angst vor Verletzungen, die hochkommen würden. Aus Angst vor Verlusten, die sich einstellen könnten. Genau dies ist die komplexe Thematik des herausragenden Fernsehfilm-Highlights „Gestern waren wir Fremde“, inszeniert von Matthias Tiefenbacher nach einer Vorlage von Martin Kluger und Maureen Herzfeld.

Protagonistin ist Sophie Ferber (Lisa Wagner). Sie ist eine junge Münchner Bauingenieurin, die in die großen Fußstapfen des Vaters getreten ist, Karl Ferber (Thomas Thieme). Allerdings nicht bei ihm, draußen auf dem bayerischen Land am Ammersee, dort, wo auch Sophies Elternhaus steht, sondern bei einer Baufirma in der Stadt. Sophie weiß, was sie will. Sie gibt sich mehr rational denn emotional, mehr tough denn weich. Das verletzt sie weniger, glaubt sie. Und sie bastelt an ihrer Karriere: Im kommenden Jahr hat sie einen Auftrag für die Leitung eines Brückenbaus in Asien. In München führt sie jedoch ein einsames Single-Leben in einer stylischen Neubausiedlung. Vater Karl betrachtet ihren Fortgang argwöhnisch, ist nicht zufrieden mit der eigensinnigen Tochter, obgleich sie doch genau seinen Weg eingeschlagen hat. Doch irgendetwas an ihr gefällt ihm nicht. Es ist, als ob eine Glaswand zwischen ihnen steht.

Die Dialoge sitzen

Als Sophie zu Karls Geburtstag kommt, von der nervösen Mutter Beate (Julia von Sell) zuvor abgefangen, da eskaliert die Situation einmal mehr: Sophie schenkt dem Vater einen Gutschein für eine Venedigreise. Mürrisch, geradezu widerwillig nimmt der Vater das Geschenk an. Ausgerechnet Venedig! „Kommt alles wieder hoch. Nach 30 Jahren. Als wär’s nie weg gewesen. Verflucht!“, murmelt er später zu Ehefrau Beate. Mit Venedig hat Sophie eine nie verheilte Wunde getroffen, ohne auch nur eine leiseste Ahnung zu haben, warum. Sie hätte ihn erst mal fragen sollen, raunt er. Er wolle nämlich gar nicht nach Venedig. Sophie ist verletzt. Es ist nicht das erste Mal, dass der Vater sie zurückweist. Das macht ihr Bedürfnis nach seiner ersehnten Anerkennung nur noch größer – und noch unerfüllter.

Als Sophie dem neuen Nachbarn Max Seefeld (André Szymanski) mehrfach begegnet, da kommen sie sich mit der Zeit näher und Sophie wird nicht müde, zu betonen, dass sie keine Beziehung wolle, da sie das gar nicht könne. Vertraut kommen sie sich gleich vor. Als eines Tages unverhofft Mutter Beate vor der Tür steht, um Sophie zu besuchen, da versteinert die Mutter, als sie den neuen Freund ihrer Tochter sieht. Sie rennt weg, ruft panisch Karl übers Handy an und verunglückt schließlich abends auf der verregneten Fahrt von München zum Ammersee. Im Krankenhaus stirbt sie.

„Gestern waren wir Fremde“ zählt in vielerlei Hinsicht zum Besten des deutschen Fernsehjahres 2013: Es ist ein Film, der auf unprätentiöse Weise unter die Haut geht. Die Dialoge sitzen. Die sich wie eine Spirale zuspitzende Dramaturgie ist stringent, die Inszenierung einfühlsam und dezent. Und da sind die Schauspieler, allen voran Lisa Wagner und Thomas Thieme, beide bravourös: Dieses Austarieren zwischen Verletztheit und Zuneigung, zwischen Aufmerksamkeit und Ablehnung. Dieses feine Ausspielen einer latent sich anbahnenden Katastrophe, die alles in Schutt und Asche legen wird. Das sind Glanzleistungen.

„Papa, ich bin so allein“, sagt Sophie einmal ihrem Vater Karl, zu Hause im elterlichen Haus, nach dem Tod der Mutter. Der Vater reagiert nicht einmal. „Ich war beim Makler. Ich verkauf’ das Haus“, ist seine krude, wenig emphatische Replik. Zwei Fremde. Zwei zutiefst Verletzte. Nur kennt Sophie die Gründe nicht – noch nicht. Sie kennt und fühlt nur ihr vermeintliches Anderssein. Tag für Tag. Bei allen Bemerkungen des Vaters scheint etwas darunter zu liegen. Es ist wie ein unausgesprochener Vorwurf. Wie tief die Verletzungen sind, über all die Jahre, das wird in kleinen Gesten, in kurzen Blicken, in knappen Bemerkungen nur erzählt. Dieser Minimalismus, diese Reduktion machen die Wirkung in ihrer Wucht umso größer.

„Gestern waren wir Fremde“ ist eine wunderbar gelungene filmische Auseinandersetzung damit, was es bedeutet, nicht offen zu sein, nicht authentisch zu leben, der Wahrhaftigkeit die Lebenslüge vorzuziehen. Es lebt sich nicht gut damit.

„Gestern waren wir Fremde“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15

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