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NDR-Sendung

© NDR

Fernsehen: Die empfindsame Frau

Normal oder doch verrückt? Das ARD-Psychodrama „Am Ende der Straße“ zeigt eine Frau am Rande des Wahnsinns - spannend und unheimlich.

Was ist eigentlich normal? Die Frage lässt sich filmisch immer wieder stellen, sie passt in jedes Genre, auch ins Drama. Beim ARD-Film „Die Frau am Ende der Straße“ sitzt der Zuschauer schließlich mit zerbrochenen Maßstäben in seinem Fernsehsessel, hat sich aufgeregt und den Kopf geschüttelt über das unzurechnungsfähige Weib, das in der Hauptrolle als Martina Schneider zu sehen ist, und muss doch zugestehen, dass er jetzt wirklich nicht mehr weiß, woran man es misst, das „Normale“. Oder auch das Verrückte. Ist Eifersucht anormal? Wohl eher nicht. Ist man verrückt, wen man es schwer erträgt, auf einer Dessousverkaufsparty ausstaffiert und angestarrt zu werden? Keineswegs. Und auch wer mit Mobbing am Arbeitsplatz nicht fertig wird oder sich auf Nachbarschafts-Gartenpartys lieber zurückhält, hat noch keine Schraube locker, ganz im Gegenteil. Und doch …

Gut gelingt es diesem unaufwendigen, stimmigen Film (Regie: Claudia Garde, Buch: Thomas Schwank), eine Atmosphäre der Bedrohung aufrechtzuerhalten – durch kleinste Abweichungen von dem, was als „normal“ gilt. So wird Martina (Maren Eggert), ihres Zeichens Bibliothekarin, als eine Frau eingeführt, die hypersensibel ist und einige Zeit vom Beruf pausieren musste, um sich psychiatrisch betreuen zu lassen. Jetzt geht es ihr wieder gut. Sie und ihr Mann Stefan (Matthias Brandt) samt kleinem Sohn sind in eine Doppelhaushälfte eingezogen, richten sich ein, beginnen neu. Martina ist gelöst. Aber es gibt eine Außenwelt, es gibt Kolleginnen, es gibt Nachbarn, und die tun manchmal Unvorhersehbares.

Martina ist dermaßen leicht irritierbar, dass alles Neue, Unerwartete für sie zum Problem werden kann. Vielleicht kennt man das von sich selbst: Da kommt die neue Nachbarin – hier heißt sie Evelin – mit ihrem Schwung und ihrer Herzlichkeit, und man fühlt sich überfordert. Ist das schon hirnverbrannt? Wohl kaum. Martina gibt sich Mühe, sie versucht, es Evelin gleichzutun, sie entschließt sich zum Optimismus, sogar zu einem zweiten Kind – aber es geht nicht gut. Sie ist halt, wie sie ist. Und sie ist eine Melancholikerin. Ihr Mann weiß das. Er behütet sie. Doch als sie anfängt, auch ihm zu misstrauen, kann er seine Rolle als ihr Schutzengel nicht mehr ausfüllen. Und jetzt beginnt der Wahn. Oder ist es normal, wenn eine Frau versucht, ihrer Rivalin zu schaden – selbst wenn die nur eine eingebildete Konkurrentin ist?

Ganz bewusst leuchtet der Film nicht die Grauzone aus, in der das Normale in das Kranke und Irre übergeht. Es fallen keine medizinischen Fachwörter – weder Borderline, noch Psychose, noch Paranoia oder was einem sonst zu Martinas Verhalten in den Sinn kommen könnte.

Der Film ist so spannend und unheimlich, weil man sich unweigerlich fragt: Wäre ich nur ein wenig sensibler, wäre ich dann wie Martina? Verdanke ich meine seelische Gesundheit bloß meinem dicken Fell? Oder: Sind wir es, die „Normalos“, die einer empfindsamen Frau den Verstand rauben?

Maren Eggert spielt die Martina mit starker Überzeugungskraft, ihre großen Augen sagen alles. Martinas Mann Stefan verzweifelt schließlich an seiner Frau. Er hat in Matthias Brandt den idealen Darsteller. Stefan kann die destruktiven Kräfte, die Martinas Wahn entbindet, nicht bannen. Aber er kann sie verstehen, denn als Einziger vermag er in die Grauzone hineinzusehen.

„Die Frau am Ende der Straße“, ARD, 20 Uhr 15

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