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© MDR/HA Kommunikation

FERNSEHEN UND DIE WELT: „Ich habe was gegen Klugscheißer“

Günter Struve lebt wieder in Berlin. Ein Gespräch über Ulrich Wickert, Nikolaus Brender und Hertha-Fans

Der Schleswig-Holsteiner Günter Struve hat enge Beziehungen zu Berlin. Er studierte am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. 1964 wurde er Reden- und Artikelschreiber für Willy Brandt, den damaligen SPD-Vorsitzenden und Regierenden Bürgermeister von Berlin. Für Brandts Nachfolger Klaus Schütz arbeitete Struve als Büroleiter, später wurde er Senatssprecher. 1982 wechselte er ins Medienfach, arbeitete für den WAZ-Konzern, danach als WDR-Fernsehdirektor. Ende 1991 übernahm Günter Struve das Amt des ARD-Programmdirektors, und zwar so erfolgreich, dass sein Vertrag wieder und wieder bis Ende 2008 verlängert wurde.

Herr Struve, von Ihnen stammt der schöne Satz, Jugend sei das einzige Privileg, das mit jedem Tag abnehme.

Wo haben Sie denn das gefunden?

Das haben Sie, als Sie noch Redenschreiber für Willy Brandt waren, damals Außenminister, formuliert.

Brandt fand das so gut, dass er das dann sogar öffentlich gesagt hat.

Da waren Sie im zarten Alter von 28 oder 29 Jahren – und schon so weise! Jetzt sind Sie sicher noch weiser und außerdem seit einem Jahr nicht mehr Programmdirektor der ARD. Verraten Sie uns ein paar Geheimnisse aus der Höhle der Löwen.

Ich darf Sie korrigieren: Es sind schon 13 Monate. Im Übrigen: Ich befinde mich nach wie vor in einem Treueverhältnis zu meinem ehemaligen Arbeitgeber.

Das heißt?

Dass es sich von selbst verbietet, Ihnen Geschichten von gestern zu erzählen. Ich habe immer die verachtet, die, nachdem sie aus dem Amt gegangen waren, plötzlich alles besser wussten. Ich habe mir in den letzten zehn Jahren vor meinem Ausscheiden jeden Abend geschworen: Du wirst nie unter dem Macht- und Einflussverlust leiden und du wirst keine Kommentare zu deinen Nachfolgern abgeben. Mir sollte die Zunge abfaulen, wenn auch nur ein herablassendes Wort nach meinem Ausscheiden aus meinem Munde kommen würde. Wie Sie sehen, die Zunge ist noch da.

Sie könnten sich ja dazu äußern, was zum Beispiel Ulrich Wickert kürzlich zur öffentlich-rechtlichen Nachrichtenlage kritisch bemerkt hat.

Dazu nur so viel: Solange man in den Medien arbeitet, sollte man mitgestalten, Gas geben oder bremsen, ganz egal, aber sich in jedem Fall aktiv einbringen. Wenn es dann vorbei ist: Mund halten. Ruhestand heißt ja nicht zufällig Ruhestand. Nachträgliche Klugscheißereien ringen mir im besten Fall ein müdes Lächeln ab.

Ein Wort zum ZDF. Was sagen Sie zum Theater um Chefredakteur Nikolaus Brender?

Herr Brender hat mir schon deshalb immer gut gefallen, weil er ein Mensch ist, der Leben in jede Bude bringt. Ein vielseitig begabter Mensch. Ich halte alle Bestrebungen der Politik, Herrn Brender aus dem Amt zu bringen, für schädlich und falsch.

Hat der Fall etwas mit Mut zu tun?

Weder mit Mut noch mit Angst. Sondern mit der Frage, ob ich mir als Senderchef die Personalien diktieren lassen will oder nicht. Es handelt sich um eine klare Machtfrage und um Freiräume, die man sich nehmen lassen kann oder eben nicht. Auch ein ZDF-Intendant muss von Zeit zu Zeit die Machtfrage stellen. Und beantworten.

Apropos Freiräume. Hat Sie der Fall der NDR-Fernsehspielchefin Doris J. Heinze, die unter falschem Namen Drehbücher an ihren Sender verkaufte, überrascht?

Ja. Weil ich dachte, dass die Schleusen, die der NDR eingebaut hatte, halten würden. Mich hat außerdem überrascht, um nicht zu sagen beeindruckt, welche Energie Frau Heinze aufgebracht hat, um ihre Identität zu verschleiern. Ich hätte zwar nie die Hand für Frau Heinze wie auch sonst für niemanden ins Feuer gelegt, aber damit hätte ich doch nie gerechnet.

Sie arbeiten für die ARD in Los Angeles als TV-Scout. Interessantes gefunden?

Allerhand. Einiges davon werden Sie bald bewundern können. Aber Genaueres dazu darf ich Ihnen leider noch nicht verraten.

Viel dürfte für die ARD sowieso nicht mehr übrig sein. RTL und Co. haben das Feld doch lange vor Ihnen abgegrast.

Uns geht es eher um Feinkost, und da ist noch jede Menge zu holen. „Dr. House“ ist uns durch die Lappen gegangen, aber da war nichts zu machen.

Uns interessiert besonders das US-Network Fox des Rupert Murdoch. So etwas gibt es bei uns nicht. Ist das, was da passiert, überhaupt noch Journalismus?

Mit Journalismus, wie wir ihn verstehen, hat Fox nichts zu tun. Ich sehe mir Fox jeden Tag zwei Stunden lang an. Mich interessiert dieser Sender, weil er mit seiner Simpel-Methode so unglaublich viele Menschen erreicht, ungefähr fünf Millionen in der Spitze, so viel wie kein anderer US-Newssender. Und das mit einem Programm, bei dem mich der Schauder packt. Aber mich fasziniert eben auch, wie man mit einer derart einseitigen Weltsicht so erfolgreich sein kann, auch finanziell. Murdoch scheffelt mit Fox Dollars wie verrückt. Dabei ist das ein Propagandasender, der nicht anderes macht, als Material gegen Präsident Obama zu sammeln und zu senden. Da lobe ich mir doch unser öffentlich-rechtliches Fernsehen.

Herr Struve, nach 17 Jahren in München hat es Sie wieder an die Spree gezogen. Womit haben die Berliner das verdient?

Mir war seit zwanzig Jahren klar, dass es so kommen würde. Hier sind meine Kinder geboren worden, hier habe ich studiert, hier habe ich als Busschaffner gearbeitet, hier kenne ich mich aus und hier fühle ich mich wohl. Und Hertha-Fan bin ich auch noch. Und das bleibe ich auch, wenn sie absteigen sollten.

Und was irritiert Sie im neuen Berlin?

Höchstens, dass ich junge Menschen sagen höre, dass sie keinen Bock auf Arbeit hätten und sich auch sonst um nichts wirklich kümmern wollten. Und dann, dass Berlin schmutziger ist als zum Beispiel München. Aber damit kann ich leben: In einer wirklichen Großstadt wird nicht hinter jedem hergeräumt.

Sie haben ja zum Ausgleich Ihre kleinen Ausflüge in die Provinz. Nach Leipzig zum Beispiel. Ins „Riverboat“.

Nichts gegen Leipzig. Der MDR ist bei der Unterhaltung und bei den Serien der erfolgreichste Sender im deutschen Sprachraum. Der MDR hat mehr Zuschauer als das ZDF.

Wie wär’s eigentlich mit einer Talkshow im RBB? Das läge doch nahe.

Nahe läge es, wenn man in seinem 70. Lebensjahr gar nicht mehr arbeiten würde. Aber das „Riverboat“ rief und ...

... Sie konnten dem Ruf nicht widerstehen. Reine Eitelkeit, oder?

Eitelkeit? Nein. Geld war’s auch nicht.

Haben Sie etwas in Ihrem ersten „Riverboat“-Jahr gelernt?

Nachsicht. Ich bin noch nachsichtiger geworden, als ich es ohnehin schon war. Jedenfalls gegenüber allen, die sich in der Kunst der Unterhaltung versuchen. Unterhaltung ist das Schwierigste überhaupt. Jede Ausgabe von „Riverboat“ ist für mich wie ein großer Berg, der erklommen werden will. Das macht einige Mühe. Aber Spaß macht es auch.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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