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So hatten sich das die Freunde der „Rundschau“ mit ihren Protesten für die Erhaltung der Traditionszeitung nicht vorgestellt. Seit einer Woche wird die Zeitung zwar wieder selbst produziert, doch nur von wenigen „FR“-Mitarbeitern. Foto: pa/dpa

© picture alliance / dpa

"Frankfurter Rundschau": Der Unterschied von Schreiben und Sein

Gekauft von der „FAZ“, machen rund 30 Redakteure der „Frankfurter Rundschau“ eine linke überregionale Zeitung. Wie kann das gehen?

Von Barbara Nolte

Die Woche fing gut an für die „Frankfurter Rundschau“: Tausend eingekesselte Demonstranten in Frankfurt und ein strauchelnder Minister in Berlin. Zwei Themen, an denen sich die „traditionsreiche linke Tageszeitung“, wie sie gemeinhin in anderen Publikationen genannt wird, über Tage abarbeiten konnte. Gleich mehrere Artikel, die vergangenes Jahr über die „Frankfurter Rundschau“ erschienen sind, waren mit „Ein Nachruf“ überschrieben. Im November musste die Zeitung Insolvenz anmelden. Am Montag wandte sich Chefredakteur Arnd Festerling an die Leser: „Sie halten gerade eine ,Rundschau‘ in der Hand, die aussieht wie immer.“ Es klingt feierlich.

Nur ehemals volkseigene Betriebe sind ähnlich drastisch geschrumpft wie die „Frankfurter Rundschau“ in den vergangenen 15 Jahren: von damals 1650 Angestellten auf 28, die die neuen Eigentümer übernommen haben. Die neuen Eigentümer, das sind der Verlag der konservativen „Frankfurter Allgemeinen“ und die Frankfurter Societät, in der die „Frankfurter Neue Presse“ erscheint. Beide gehören zur Fazit-Stiftung. Vor drei Monaten haben sie den überregionalen Konkurrenten gekauft. Die „Rundschau“ soll, wie ihr Chefredakteur postuliert, weiterhin aussehen wie immer. Sonst ist nichts wie immer. Kann das gehen?

„Wir wollen unseren Lesern eine Zeitung anbieten, der man nicht anmerkt, was hinter den Kulissen los ist“, erklärt Festerling am Freitagmittag am Telefon offen. So ist auch die Absage des neuen Geschäftsführers zu verstehen, als man in der Woche zuvor nach einem Redaktionsbesuch fragte. Seine Assistentin schrieb: „Wir halten den Zeitpunkt für nicht sehr geeignet.“

Dabei hat die „Frankfurter Rundschau“ in dieser Woche einen Neuanfang versucht. In den vergangenen beiden Jahren wurden ihr Teile wie Politik, Feuilleton und Sport von einer in Berlin ansässigen Gemeinschaftsredaktion mehrerer M.DuMont-Schauberg-Zeitungen zugeliefert, zu denen auch die „Rundschau“ gehörte. Seit Montag produzieren Festerling und die Kollegen ihre Zeitung wieder selbst in Frankfurt. Sie sägten ein wenig mit am Stuhl des Verteidigungsministers Thomas de Maizière und ließen beim Polizeieinsatz gegen die Frankfurter Demonstranten nicht locker. Wie es sich für eine linke Tageszeitung gehört.

Die neuen Besitzer haben versichert, die linksliberale Grundhaltung der „Rundschau“ unangetastet zu lassen. Seit Jahrzehnten ist die Ausrichtung in den Redakteursverträgen festgeschrieben. Festerling schließt aus, dass dieser Passus bald so ausgelegt wird, dass von der „FAZ“ Artikel übernommen und mit Überschriften mit linkem Tenor versehen werden. „Wir wollen versuchen, noch klarer Position zu beziehen als bisher – tendenziell im linken Spektrum“, kündigt er an. Und wenn Ruhe eingekehrt sei, würden sie auch wieder „über Innovationen“ nachdenken.

Die "Frankfurter Rundschau" schlittert von Krise zu Krise.

Seit Jahren schlittert die „Rundschau“ von Krise zu Krise. Ausgezehrt von Einbrüchen des Anzeigenmarktes, rettete erst die CDU die Zeitung – mittels einer Bürgschaft der konservativen hessischen Landesregierung –, dann die SPD. Die Medienholding der Sozialdemokraten kaufte sie und verkaufte zwei Jahre später die Mehrheit der Anteile an den Kölner Verlag M. DuMont Schauberg. Das Format der Zeitung wurde verkleinert, die Produktion großer Teile nach Berlin verlegt. Dann die Insolvenz. Ende Februar bekamen rund 400 Mitarbeiter Kündigungsschreiben von der Anwaltskanzlei des Insolvenzverwalters. „Darin stand kein Wort des Bedauerns oder des Dankes“, sagt ein ehemaliger Redakteur. Wenige Tage später, vom ersten März an, fanden sich die Gekündigten in einer Transfergesellschaft wieder. Ein wöchentlicher Beratungstermin und Bewerbungstraining sind verpflichtend. Freiwillig sind Kurse in Englisch und Social Media. Ein Mitarbeiter wolle jetzt Förster werden, heißt es. Die anderen versucht der Geschäftsführer der Transfergesellschaft, Klaus Kandelbinder, in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit halbwegs ihrer Qualifikation entsprechend unterzubringen. Ein ehemaliger „Rundschau“-Redakteur hält das für aussichtslos: „Jeder, den es erwischt hat, weiß, dass es mit dieser Kündigung für ihn endgültig vorbei ist mit dem Printjournalismus.“ Kandelbinder drückt es so aus: „Es ist nicht so, dass die Bundesagentur viele Angebote für Zeitungsredakteure hätte.“ Nur vier Redakteure hätten einen neuen Job, zwei in der PR-Branche. Dabei gab es in Hessen in diesem Frühjahr sogar freie Stellen, beim Pressedienst Frankfurt. Nur sind die gekündigten „Rundschau“-Leute dort nicht gefragt. Das scheint erst mal absurd, denn der Pressedienst Frankfurt wurde vor einigen Jahren als Leiharbeitsfirma gegründet, um Pauschalisten der „Rundschau“ anzustellen, weil diese nicht als Scheinselbstständige arbeiten sollten.

Bis heute ist die Pressedienst-Belegschaft ausschließlich bei der „Rundschau“ beschäftigt, allerdings untertariflich bezahlt. Seit Einstieg der neuen Gesellschafter hat sich die Belegschaft des Pressedienstes Frankfurt verdoppelt. Um die zwanzig überwiegend junge Journalisten sind dort eingestellt worden. Hier rührt tatsächlich das, was hinter den Kulissen passiert, an der Identität der Zeitung. Kann eine linksliberale Zeitung, die unter diesen Bedingungen ihr Personal rekrutiert, noch in ihren Kommentaren Altersdiskriminierung anprangern? Kann ein Journalist Arbeitnehmerrechte einfordern und sich selbst der reinen Marktlogik unterwerfen? Und wie ist es mit der Gleichberechtigung? Unter den Ressortleitern ist keine Frau. Mitarbeiter sagen über die Kluft von Schreiben und Sein, es sei erst mal das Wichtigste, dass die „Rundschau“ erhalten bleibe. Entscheidend wird sein, wie die Leser das Dilemma beurteilen. 75 000 kaufen noch die „FR“.

Am Dienstag vermeldete die Zeitung: „Schlagerstar Jürgen Marcus hat kein Handy.“ Das Leichte ist noch immer nicht die Stärke der „Rundschau“. Ansonsten sind die aktuellen Ausgaben ernsthaft und informativ. Einmal ist die Ausbeutung von Bodenschätzen Schwerpunkt, anderntags der Prozess über den Wikileaks-Informanten Manning. Überschrift: „Der Fall zeigt, in welche Gefahr sich all jene begeben, die brisante Interna öffentlich machen. Sogar in Deutschland.“ Die Betriebsratschefin der „Rundschau“ schweigt lieber über die Situation in der Zeitung und die der gekündigten Kollegen. Manche Meldung liest man jetzt als Mitteilung in eigener Sache.

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