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Medien: Fremd am Familientisch

Sandra Maischberger bleibt Gast in der eigenen Show

Man kann das Ganze nur verstehen, wenn man die Showleute vom Fernsehen als eine Familie betrachtet, die furchtbar gern zusammenkommt und feiert und dabei das macht, was auf Familienfeiern so gemacht wird: Man erzählt aus seinem Leben, denkt an alte Zeiten, hat was zu lachen und gibt tüchtig an. Peinliche Momente gehören dazu. Das hässliche Fremdwort für dieses Phänomen heißt Selbstreferenzialität. Es bedeutet soviel wie: im eigenen Saft kochen. Familien dürfen das. Medien eigentlich nicht.

Fernsehen sollte Mittler sein zwischen der weiten Welt und den Leuten daheim, die ihre Augen und Ohren nicht überall haben können. Das ist die Aufgabe der Medien, dafür sind sie gedacht. Was würde man zum Beispiel von einer Zeitung halten, deren Feuilleton zu großen Teilen aus Berichten über die Karriere des Chefredakteurs, aus Interviews mit dem Herausgeber und Fotos der Starreporterin besteht? Niemand würde so ein Organ abonnieren. Beim Fernsehen aber akzeptieren wir diese Inzucht.

Da kommt der Dienstag zum Dienstag, Boulevard Bio endet bei Maischbergers Menschen, und der alte Herr hat sogar Fotos aus der Jugendzeit dabei. Oje, wie der mal ausgeschaut hat: knochentrocken als Jurist und wild zugewachsen als Showman in spe. Heute ist er siebzig, Unicef-Botschafter und rundum seriös. Und immer noch ein klasse Unterhalter. Martin Semmelrogge ist ebenfalls ein Selbstläufer. Schon wenn der grient, ist der Abend gefüllt. Ausgerechnet bei diesem Tunichtgut riskiert Gastgeberin Maischberger das gute Familienklima und will unbedingt wissen, warum der Knabe immer wieder im Knast landet. Ob er noch einen Überblick über sein Vorstrafenregister habe? Semmelrogge aber hat keine Lust zu beichten, er grummelt vor sich hin, und Maischberger muss aufpassen, dass sich das nicht zum peinlichen Moment auswächst. Zum Glück kam dann doch noch ein Gast von „draußen“, eine Frau im Rollstuhl, die bei einem Schönheitswettbewerb mitmacht. Offenbar hatte sie schon Erfahrung mit den Medien, und so zählte sie nicht wirklich als Gesandte aus der weiten Welt.

Letzter Gast war Bruno Ganz, der im neuen Hitler-Film die Hauptrolle spielt. Das war sogar für die Fernsehfamilie eine kleine Sensation. Und alle wollten wissen, wie man das so macht: aussehen wie Hitler, reden wie Hitler und eine Schüttellähmung haben wie er. Man muss es halt studieren. Ganz: „Ich habe viel gelesen.“ Ob sich durch die Arbeit am Film sein Hitlerbild verändert habe? „Neben dem Massenmörder war er ein Mensch“, ringt Ganz um eine humane Position. Die Familie ist beim Thema: die Vergangenheit. Aber es geht gut aus. Die Damen lächeln. Die Herren schauen ernst in die Runde. Dann wird die Feier geschlossen, und Maischberger kündigt fürs nächste Mal ein besonders nettes Familienmitglied an: Hella von Sinnen.

Die Selbstreferenzialiät als Recycling immer derselben TV-Urgesteine und naher Angehöriger wie Bühnenschauspieler oder Schönheitsköniginnen funktioniert wahrscheinlich aus diesem einen Grund: Der Zuschauer hat das Gefühl, selbst zu der Familie zu gehören. Zwar nur als armer Verwandter, aber immerhin. Er ahnt, dass es diesen ganzen Zirkus nicht gäbe, wenn er nicht treu einschaltete, ist sich seiner Macht bewusst und glaubt, sie in eine Art Familienanschluss ummünzen zu dürfen.

Seltsamerweise sitzt Sandra Maischberger immer noch wie eine zwar sehr bemühte, aber doch im Grunde fremde Person am Familientisch, wie eine Zugereiste, die so tut, als sei sie eine Eingeborene und die stets ein wenig von der Furcht geplagt wird, dass einer dahinter kommen könnte.

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