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Magazine: Gackert das Huhn, freut sich der Mensch

Raus aufs Land! Warum die Magazine für die bodenständige Entschleunigung so erfolgreich sind.

Neulich spazierte Ute Frieling-Huchzermeyer den Feldweg vor ihrem Bauernhof in Ost-Westfalen entlang. Es ist kein besonderer Weg, eben so einer, wie es ihn zu Hunderttausenden in Deutschland gibt. „Aber warum eigentlich?“, dachte sich Frieling-Huchzermeyer. Ein paar Wochen später stand die Geschichte über den Sinn von Feldwegen in der „Landlust“, dem Magazin, das Frieling-Huchzermeyer als Chefredakteurin führt. Hier entstehen viele Artikel wie auch der über die Feldwege aus der Lebenswelt der Redaktionsmitglieder heraus – es ist eines der Erfolgsgeheimnisse der Zeitschrift, die weiterhin rekordverdächtige Zahlen liefert, wie die aktuellen IVW-Zahlen erneut zeigen. Um fast 50 Prozent legte „Landlust“ im ersten Quartal 2010 im Vergleich zum Vorjahresquartal zu und weist eine verkaufte Auflage von 690 000 Exemplaren vor, beim Start vor fünf Jahren waren es 110 000 Exemplare. Solche Zuwächse schafft in der krisengeschüttelten Zeitschriftenbranche kein anderes deutsches Lifestylemagazin. Zum Vergleich: „Schöner Wohnen“ verkauft 274 100 Stück, „Mein schöner Garten“ 407 000 Stück.

Entstanden ist „Landlust“ eher aus der Not heraus, als eine Art Spin-off des Fachmagazins „top agrar“ aus dem Münsterschen Landwirtschaftsverlag („Milchrind“, „Jäger“) . „Top agrar“ richtet sich an Landwirte, doch davon gibt es in Deutschland immer weniger: Existierten 1999 noch 472 000 Betriebe, zählte der Deutsche Bauernverband zehn Jahre später nur noch 360 000, pro Jahr werden es etwa drei Prozent weniger. Um ein Publikum jenseits der schrumpfenden Zielgruppe zu finden, wurde „Landlust“ entwickelt – und ein Boom ausgelöst.

Ist die „Landlust“ zu ihrem Start noch so allein in dem Segment gewesen, dass Kioskbesitzer nicht wussten, ob sie das Magazin nun bei den Garten-, Wohn- oder Frauenzeitschriften einordnen sollen, gibt es heute ein ganzes Regal voll mit Blättern, die sich rund um die Lust am Land drehen: „Liebesland“, „Land Leben“, „Landidee“, „Mein schönes Land“ und „Landpartie“ heißen die Titel, die der „Landlust“ zum Verwechseln ähnlich sehen. Angesichts des rasanten Erfolgs der „Landlust“ waren andere Verlage schnell auf den Zug, oder in diesem Fall eher Traktor, aufgesprungen, denn „Landlust“ hatte einen Nerv getroffen – nicht nur bei den Damen vom Landfrauenverband, sondern bei der umkämpften weiblichen Leserschaft insgesamt.

Sie scheint der Wohntipps mit schicken Designermöbeln und der Rezepte, mit denen zehn Pfund in zwei Wochen schmelzen sollen, überdrüssig zu sein, und sich stattdessen nach Echtheit und Entschleunigung zu sehnen, genau nach dem, was die Landmagazine ihnen neuerdings bieten.

Schlechte Nachrichten, Krisen, all das wird in den Blättern ausgeblendet, stattdessen geht es um die „schönsten Seiten des Landlebens“, wie die „Landlust“ im eigenen Titel wirbt. Gezeigt wird eine heile Welt mit blühenden Gärten, zufriedenen Kindern und glücklichen Hühnern. Wer die Texte liest, kann schon fast ins Träumen geraten: „Aus flaumig behaarten Winterknospen entfalten sich im April die eleganten Blütenkelche der Magnolie“, heißt es beispielsweise in der aktuellen „Landlust“-Ausgabe in einem Artikel über „Frühlingszeichen“, ein paar Seiten später geht es um handgestrickte Kniestrümpfe für „schneidige Mannsbilder“ und Radieschen als Tischdekoration.

All das ist weder „trendy“, „cool“ noch ein „Must-have“ – und kommt gerade deswegen bei den Lesern, zu 70 Prozent weiblich, so gut an, meint Chefredakteurin Frieling-Huchzermeyer: „Im schnelllebigen Alltag haben viele Menschen das Bedürfnis, Muße zu finden und den Kopf zu befreien.“ Die „Landlust“ zeige, wie sich jeder vor der eigenen Haustür „selber beglücken“ könne. Eben indem Radieschen auf den Tisch gestellt oder ein Blütenkranz gebunden wird. Und wer keinen Garten hat, um Rhabarber anzubauen, findet es trotzdem entspannend, über Gemüse- und Obstanbau zu lesen und sich dazu die opulenten Bilder anzusehen. „Durch die ,Landlust‘ zu blättern, ist wie einen Spaziergang im Wald zu machen“, sagt Frieling-Huchzermeyer. Gerade in Städten wie Hamburg und Berlin verzeichne die „Landlust“ weitere Zuwächse.

Während Frieling-Huchzermeyer 120 Kilometer von ihrem Bauernhof in die Redaktion nach Münster fährt, sitzt Richard Kerler mitten in der Stadt. Aus seinem Büro blickt der Redaktionsdirektor des ipm Magazin Verlags auf den Rosenkavalierplatz im schicken München-Bogenhausen, wo die Damen der Bussi-BussiGesellschaft am Marktstand handgemachte Pasta kaufen, um zu zeigen, dass sie trotz Porsche und Escada-Kleid ganz bodenständig sind, wie Kerler beobachtet. „Natürlichkeit ist en vogue“, sagt er, und deshalb gibt jetzt auch sein Verlag mit dem „Landleben“ ein Magazin heraus, um von diesem Trend zu profitieren. „Es gibt eine Sehnsucht danach, wie es früher war“, sagt Kerler; deshalb setzen viele der Landmagazine Schwerpunkte bei historischen Themen. Auch die „Landidee“ (verkaufte Auflage: 115 000 Exemplare), die der Gong-Verlag zusammen mit dem Christian Verlag aus München publiziert. Die Weitergabe und Beschreibung von altem Wissen steht im Vordergrund des Heftes, in der aktuellen Ausgabe wird beispielsweise über die Arbeit eines Holzschuhmachers berichtet, alte Rosensorten werden vorgestellt.

Während Gong-Verlagsgeschäftsführer Michael Geringer glaubt, dass es für die ähnlichen Landtitel genügend Platz am Kiosk gibt, ist Richard Kerler skeptisch. „Nicht alle werden reüssieren können“, sagt er. „Landleben“ wird deshalb wohl auch erst wieder im Herbst erscheinen. Denn auch für Anzeigenkunden sei das neue Segment nicht einfach zu bestücken. „Eine Autowerbung passt schlecht neben eine grüne Wiese“, sagt Kerler.

Die „Landlust“ regt ihre Kunden deshalb auch dazu an, die Anzeigen passend zur Anmutung des Heftes zu gestalten. Ein Großteil der Werbung wird hinten im Blatt gebündelt, um den Lesefluss nicht zu stören, wie Frieling-Huchzermeyer sagt. Längst schreibt die „Landlust“ schwarze Zahlen und hat mit ihrem Erfolgsrezept, auf Echtes zu setzen, offensichtlich benachbarte Segmente mitgerissen. So verzichtet die „Brigitte“ beispielsweise seit Jahresbeginn auf professionelle Models und setzt auf „normale“ Menschen für ihre Fotostrecken, so wie die „Landlust“. Genau wie bei den Geschichten fürs Heft halten die Redakteure auch für die Fotoshootings im eigenen Umfeld nach Leuten Ausschau. Auch auf Feldwegen.

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