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Gefährdete Pressefreiheit: "Du bist der Nächste, Hurensohn"

Wer recherchiert, dem droht der Tod: Mexiko gilt als eines der gefährlichsten Länder für Journalisten

Jorge Luis Aguirre klingt in seiner E-Mail aufgewühlt und wütend: „Hör zu, es gibt hier keine Pressefreiheit. Die Regierung ist von den Drogenkartellen gekauft. Ich selbst habe Morddrohungen von der Justizministerin von Chihuahua erhalten.“ Den vertraulichen FBI-Bericht über die Drohung schickt Aguirre gleich mit. Der 51-Jährige ist Journalist und Herausgeber der Internetseite LaPolaka.com, die über Kriminalfälle im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua und in der Grenzstadt Ciudad Juárez berichtet. Aber seit vier Monaten lebt er im texanischen El Paso, das auf der amerikanischen Seite der Grenze liegt. Schuld daran ist ein Anruf.

Als Aguirre am 20. November 2008 zum Begräbnis des Polizeireporters Armando Rodríguez fuhr, der eine Woche zuvor erschossen worden war, klingelte sein Handy. Eine Stimme sagte: „Du bist der Nächste, Hurensohn.“ Sofort parkte Aguirre sein Auto, ließ sich von seiner Frau abholen, und gemeinsam mit den drei Kindern fuhr man nach El Paso – Aguirre besaß ein Recherchevisum für die USA.Weniger Glück hatte der Journalist Emilio Gutiérrez. Er arbeitete wie der ermordete Rodríguez bei der Zeitung „El Diario“ und berichtete kritisch über den Anti-Drogen-Kampf der mexikanischen Armee. Nachdem er im Sommer 2008 Morddrohungen erhalten hatte, wollte er in El Paso einen Asylantrag stellen. Doch am Grenzübergang wurde er von US-Grenzbeamten festgenommen und dann sieben Monate lang in einem Internierungslager festgehalten.

Das Schicksal der drei Journalisten veranschaulicht, wie bedrohlich die Situation für Berichterstatter in Mexiko geworden ist. Seitdem Präsident Felipe Calderón vor zwei Jahren den Kampf gegen die Drogenmafia ausgerufen hat, tobt ein Krieg ohne Fronten. Kritische Berichterstattung ist dabei allen Beteiligten ein Dorn im Auge, und Mexiko gilt heute nach dem Irak als weltweit zweitgefährlichstes Land für Journalisten. Während sieben Drogenkartelle auf grausamste Weise um die Vorherrschaft über Territorien, Routen und Märkte streiten, ist das von Calderón ausgesandte Militär vor allem damit beschäftigt, gegen korrupte Polizeieinheiten vorzugehen. Gleichzeitig begeht es immer wieder Menschenrechtsverletzungen. Die Situation wird dadurch verkompliziert, dass auf den Gehaltslisten der Kartelle nicht nur Polizisten und auch Militärs stehen, sondern ebenso Politiker, Unternehmer, Richter und Showstars. 6290 Menschen sind dem Krieg vergangenes Jahr zum Opfer gefallen, mehr als 1000 in diesem.

Zum Sinnbild für das Chaos ist Ciudad Juárez geworden. Ein Viertel aller Morde wurde 2008 hier verübt, mehr als 400 waren es 2009. Täglich werden neue Kadaver gefunden, meist gefoltert und geköpft – die Drogenkartelle versuchen sich auch an Grausamkeit zu überbieten. Präsident Calderón will nun 11000 Soldaten und Bundespolizisten in die Stadt schicken.

In diesem undurchsichtigen Geflecht sind Journalisten völlig schutzlos. Rund 50 Berichterstatter sind seit 2000 in Mexiko umgebracht worden, im vergangenen Jahr waren es mindestens fünf, einer in Juárez. Das mexikanische Centre for Journalism and Public Ethics (CEPET) schreibt viele Attacken den Sicherheitskräften zu, allerdings kämen die brutalsten Angriffe von den Drogengangs. Wie zur Warnung wurde im November 2008 der Kopf eines Mordopfers auf dem „Platz des Journalisten“ in Ciudad Juárez abgelegt.

„Die Situation ist so schwierig, weil du niemandem vertrauen kannst“, sagt am Telefon Diana Washington. Die Reporterin der „El Paso Times“ hat vor einigen Jahren über die Sexualmorde an mehr als 400 Frauen in Juárez recherchiert und unzählige Morddrohungen erhalten. „Man darf nicht ängstlich sein, wenn man in Juárez arbeitet“, sagt sie. Für ihr bald erscheinendes Buch „Mexican Roulette: Last Cartel Standing“ hat die Reporterin in Mexiko Informanten getroffen. „Dabei habe ich jedes Mal mein Leben riskiert“, sagt sie, „aber die Informanten eben auch.“ Für Washington gleicht Juaréz heute einem Kriegsgebiet, in dem man als Journalist nicht mehr wisse, aus welcher Richtung die Kugeln kommen. Und sie deutet an, dass auch manche Journalisten und sogar ganze Medienkonzerne mit den Drogenkartellen kooperierten. Hinzu komme die um sich greifende Selbstzensur.

Arturo Chacon, Polizeireporter bei der Zeitung „Norte de Juárez“ stimmt zu. Er beschreibt die Situation in einer langen, verzweifelten E-Mail: „Hier werden zurzeit nur deswegen keine Journalisten umgebracht, weil niemand mehr recherchiert. Es gäbe sowieso keine Zeitung, die eine seriöse Recherche veröffentlichen würde.“

Die Medien in Ciudad Juárez sind inzwischen dazu übergegangen, ihre Polizeireporter regelmäßig auszutauschen und Beiträge nicht mehr namentlich zeichnen zu lassen. Jorge Luis Aguirre von LaPolaka berichtet, wie seine Kollegen immer wieder ihre Autos wechselten, täglich eine andere Route zur Arbeit nähmen und Anrufe von Unbekannten nicht beantworteten. „Die Regierung nach Schutz zu fragen“, meint er, „sei so, als ob man sich der Mafia ausliefere“. Tatsächlich hatte Armando Rodríguez kurz vor seiner Ermordung beim Justizministerium von Chihuahua um Hilfe gebeten. Dort riet man ihm wegzuziehen.

Mit vier Kollegen, die wie er in El Paso leben, hat Aguirre nun Pemexx gegründet: Periodistas Mexicanos en el Exilio – Mexikanische Journalisten im Exil. Die Organisation versteht sich auch als Provokation an die Adresse der mexikanischen Regierung, die behauptet, dass in Mexiko die Pressefreiheit garantiert sei. Günter Wallraff übrigens, der Meister der Undercoverrecherche, hat kürzlich verkündet, dass er gerne die Verbrechen von Juárez aufdecken würde. Allerdings nur, wenn er Spanisch spräche.

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