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Erst nach der Wende gestand Dirk Schneider, der für die Berliner Grünen im Bundestag saß, seine IM-Tätigkeit. Foto: RBB

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Geschichts-TV: Die unterwanderte Stadt

In Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und den Medien: Die RBB-Dokumentation „Die Stasi in West-Berlin“ zeichnet nach, wie weit der Arm des MfS reichte.

Die mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen illustrierten Bilder der RBB-Dokumentation „Die Stasi in West-Berlin“ erinnern ein wenig an die Verfilmung von John Le Carrés „Der Spion, der aus der Kälte kam“. Doch das gilt nur für die ersten paar Minuten, in denen von der Zeit vor dem Bau der Mauer berichtet wird, von der Viermächte-Stadt Berlin, der Welthauptstadt der Agenten. Dabei war das Wirken der bis zu 2000 Stasi-IMs in den Hochzeiten alles andere als fiktiv, wie die gut recherchierte Dokumentation von Ute Bönnen und Gerald Endres eindrucksvoll in Erinnerung ruft, die am Donnerstag im RBB-Fernsehen läuft.

Das Thema ist schon mehrfach behandelt worden, jetzt zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung lohnt es sich durchaus, das aus vielen Facetten bestehende Bild zu entstauben. Sicherlich spielte dabei auch der Fall Karl-Heinz Kurras eine Rolle. Der Polizist, der im Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, hatte dabei zwar nicht im Auftrag der ostdeutschen Staatssicherheit gehandelt, obwohl er – wie erst vor einem Jahr bekannt wurde – bereits seit 1955 Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war. Kurras war nicht der einzige West-Polizist mit solchen Ost-Verbindungen. Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin hat unter anderem untersucht, wie weit die West-Berliner Polizei von Stasi-Mitarbeitern unterwandert war. „In den 50er und 60er Jahren gab es eine Reihe von Informanten und Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi, aber nicht in Führungspositionen“, sagt Staadt. „Das waren Überzeugungstäter.“

Die Stasi versuchte in allen Lebensbereichen Fuß zu fassen, oftmals mit Erfolg. Den Autoren der Dokumentation gelang es, den ehemaligen Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit Günter Bohnsack zu interviewen. Noch heute blickt er mit einem gewissen Stolz auf seine damalige Tätigkeit zurück, vor allem wenn er davon erzählt, wie vom ihm erstellte Dokumente über West-IMs in den Medien landeten. Oder wenn er sich erinnert, wie Carl Guggomos, der Herausgeber des West-Politmagazins „Berliner Extra-Dienst“ mit seiner alten Aktentasche nach Ost-Berlin fuhr, um sich von der Stasi neues Geld zu holen.

Viele Anwerbeversuche blieben jedoch erfolglos. Der Journalist Hannes Schwenger hörte im Büro des Berliner Journalistenverbandes in der Friedrichstraße „die Glocken läuten“, als er ein eindeutiges Angebot bekam und sich daraufhin einen schnellen Abgang verschaffte. Auch Eckhardt Barthel, der an der FU politische Wissenschaft studiert hatte, geriet ins Visier der Stasi-Werber. Bei ihm „gingen die Lampen an“, als man ihm – er war inzwischen Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses – anbot, seine Beziehung zu einem Mitglied der DDR-Akademie der Wissenschaften „auf eine andere Ebene“ zu stellen, was er dankend ablehnte. Doch längst nicht alle reagierten so, auch Jürgen-Bernd Runge nicht. Zu Studentenzeiten gehörte er dem linken Flügel des CDU-nahen Ring Christlich Demokratischer Studenten an, später wechselte er zur FDP. Als er einem vermeintlichem Freund im Osten von seinem Plan erzählt, der DKP beizutreten, sagte der: „Bleib, wo du bist, dort kannst du wirkungsvoller sein“. Rückblickend erklärt er seine IM-Tätigkeit, dass es sich für ihn damals nicht zuletzt um eine Entscheidung zwischen Krieg und Frieden in der Welt gehandelt habe. Heute sieht er sich als „eine am Leben gescheiterte Existenz“, wenn auch aus „ehrenwerten und humanistischen Motiven“.

Renate Künast und Antje Vollmer erinnern sich an die Unterwanderung der Alternativen Liste/Grünen, die zwar nicht ins typische Freund-Feind-Schema passte, aber dennoch „schwerpunktmäßig bearbeitet“ wurde. Wiederum nicht unerfolgreich: Dirk Schneider, der für die Berliner Grünen im Bundestag saß, gab nach der Wende zu, Stasi-IM gewesen zu sein. Kurt Sagatz

„Die Stasi in West-Berlin“, 22 Uhr 15, RBB-Fernsehen

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