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Hessischer Rundfunk: Die Ein-Mann-Affäre

HR-Intendant Helmut Reitze musste im Korruptionsskandal um den ehemaligen Sportchef Jürgen Emig vor Gericht. Reitze beharrt auf dem "System Emig" und verneint ein persönliches Versagen.

Schon merkwürdig, wie Korruption in deutschen Unternehmen funktioniert. Im Irgendwo der mittleren Ebenen wird geschmiert oder man lässt sich schmieren. Das war bei der Siemens AG nicht anders als beim Hessischen Rundfunk (HR). Der damalige Unternehmenschef Heinrich von Pierer gab sich maßlos erstaunt, als die Millionen-Praktiken im Konzern Stück für Stück bekannt wurden, sehr ähnlich positionierte sich Helmut Reitze am Mittwoch vor dem Landgericht in Frankfurt am Main.

Der HR-Intendant war als Zeuge geladen im Strafprozess gegen den früheren Sportchef des Senders, Jürgen Emig. Der Angeklagte hatte mehrfach betont, es habe, was Schleichwerbung und Schmiergelder im öffentlich-rechtlichen Sender angeht, ein „System HR“ gegeben. Tenor: Mehr als nur das Ehepaar Emig und der Geschäftspartner Harald Frahm hätten über die gemeinsame Agentur SportMarketing & Production (SMP) profitiert, der HR selbst hätte in seinem dritten Sportprogramm, bei dessen Gestaltung und Produktion, aus den Zuwendungen Dritter erhebliche Vorteile gezogen. Laut Anklage hat Emig persönlich 525 000 Euro aus Verträgen mit Sponsoren und Sportveranstaltern kassiert.

Helmut Reitze hat im Zeugenstand jegliche Billigung der Schleichwerbung in Sportsendungen des HR oder auch nur die Kenntnis davon vehement bestritten. Emig freilich beharrte im Wortduell mit Reitze auf diesen „Mitwisser“. Für den HR-Chef gab es „ein System, das Dr. Emig vielleicht sogar erfunden, sicher aber installiert hat.“ Emig habe seine Beteiligung an der Agentur SMP ebenso verschleiert wie seine verbotene geschäftliche Zusammenarbeit mit seiner Frau Atlanta Killinger-Emig. Das Camouflieren der illegalen Zahlungen sei mit hoher Energie geschehen. Für Reitzes eigene Reputation wichtig war der Hinweis, dass bei seinem Amtsantritt im Januar 2003 die „Strohmannfirma“ SMP schon längst gegründet und am Laufen war. Grundsätzlich verneinte der Intendant ein persönliches Kontrollversagen. „Fakt ist, dass Herr Emig 14 Monate nach meinem Amtsantritt beim HR nicht mehr Sportchef war.“ Mehrfach habe er sich gefragt, ob er bei der Aufklärung nicht hätte schneller sein müssen.

Jürgen Emig war im Frühjahr 2004 zum Rücktritt als HR-Sportchef gedrängt worden. Im Sommer 2005 kündigte der Sender ihm fristlos. Die Anklagepunkte gegen Emig sind unter anderem Bestechlichkeit, Betrug und Untreue. Mitangeklagt ist der frühere SMP-Chef Harald Frahm.

Dass die Vorgänge um und mit dem HR-Sportchef Jürgen Emig durchaus Anlass zu Fragen gaben, bestritt Reitze nicht. Klaus Berg, Vorgänger im HR-Intendantenamt, hatte Emig untersagt, Verträge mit der Werbeagentur seiner Frau, der Killinger Production, zu schließen. Killinger-Emig stellte ohne Wissen des Senders das Stammkapital der SMP, offiziell trat nur der Emig-Partner Harald Frahm als Inhaber auf. Mit dem Amtsantritt von Reitze war Emig längst nicht am Ende, wie ein Brief zeigt, mit dem der Vorsitzende Richter Christopher Erhard den HR-Chef konfrontierte. Darin hatte sich ein Sportveranstalter bei der hessischen Landesregierung über zu hohe Produktionskostenzuschüsse beschwert, die Emig gefordert hatte. Die Regierung leitete das Schreiben an Reitze weiter, der in seiner Antwort die hohe Summe von 95 000 Euro nicht in Zweifel zog. Tatsächlich soll Emig über seine Firma SMP nur 30 000 Euro davon an den HR weitergeleitet haben. Von dieser Differenz sei ihm nichts bekannt gewesen, sagte Reitze. Emig hätte dies auch später nicht offengelegt. Dass Verträge über finanzielle Beistellungen rückwirkend geschlossen wurden, erklärte Reitze mit „Nachlässigkeit“.

Der HR-Intendant pochte darauf, dass die Innenrevision seines Senders mehrfach den Auftrag erhalten habe, die Vorgänge um Emig und die SMP zu durchleuchten. Der Sportchef habe es aber verstanden, die Aufklärung über Beteiligungsverhältnisse und Geschäftspraktiken massiv zu behindern. Wie energisch im Hessischen Rundfunk gegen einen leitenden HR-Mitarbeiter wirklich vorgegangen wurde, blieb offen.

Das Ausmaß der Korruptionsaffäre wurde Reitze nach eigener Aussage erst durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bewusst. Erst da habe er erfahren, dass die Familie Emig an der Agentur SMP verdiene. Der Intendant betonte, er wäre „im Traum nicht darauf gekommen“, dass Entscheidungen für Sportübertragungen von einer persönlichen Vorteilsnahme abhängig gemacht wurden. Resümee Reitzes zur Affäre Emig: „Eine der großen Enttäuschungen meines beruflichen Lebens.“ Offensichtlich genügte ein einziger Mitarbeiter, ihm und einem ganzen Sender diesen Schmerz zuzufügen. Der Prozess geht weiter.

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