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Medien: „Ich dachte: Gott möchte nicht, dass ich lebe“

Das Model Nadja Auermann über ihre zweite Karriere beim Film, französischen Charme und die Operationen in ihrer Kindheit

Frau Auermann, Ihr erster Fernsehfilm spielt in einem Dorf, Sie tauchen dort auf wie eine Außerirdische. So wie auf den Modefotos, die man von Ihnen kennt.

Ich hoffe, man sieht mich nicht nur als Model, auch wenn es manchmal Gemeinsamkeiten gibt zwischen einer Rolle und dem wirklichen Leben. Wenn man früher ein Klassenfoto von mir sah, hatte man immer das Gefühl, dass ich da nicht reinpasse. Weil ich immer größer und dünner war als die anderen. So war das bei Eva Hennig, meiner Rolle im Film, sicher auch. Nach dem Tod ihrer Tochter verlässt sie das Dorf und macht in Berlin Karriere, und als sie dann zurückkehrt, passt sie noch weniger rein als vorher.

Damit ist auch Unnahbarkeit verbunden…

Viele lassen sich vom äußeren Erscheinungsbild blenden. Manchmal hat man eine Wirkung, die man selber gar nicht erzeugen will. Bei Eva Hennig im Film ist das anders, sie erlebt ein unerträgliches Drama – sie verliert ihr Kind. Um an ihrer Trauer nicht zu zerbrechen, schirmt sie sich ab, sie will unantastbar sein. Deshalb trägt sie am Anfang dieses strenge Kostüm und den hellen Mantel, der aussieht wie eine Rüstung.

Sie tragen auch einen hellen Mantel. Sie sagten mal, dass Sie Marlene Dietrich verehren, die sich in Deutschland fremd fühlte.

Abgesehen davon, dass sie eine Schauspielerin mit einer enormen Ausstrahlung war, bewundere ich sie, weil sie Stellung gegen Hitler bezogen hat. In Deutschland hat man es nicht leicht, wenn man von der Norm abweicht. Man scheint das als Bedrohung zu empfinden, wie im Fall Eva Hennig. Als ich nach dem Abitur nach Frankreich ging, war ich überrascht: Erst dort wurde mir klar, dass ich attraktiv bin, man bekommt viel mehr Komplimente. Gott, da ist mir mal was passiert: Ich war gerade zwei Wochen in Paris, da fiel mitten auf dem Bürgersteig ein Mann vor mir auf die Knie und rief: Comme vous êtes belle! Wie schön Sie sind! Ich musste lächeln.

Sie sind in Steglitz aufgewachsen und waren an den Berliner Charme gewöhnt?

Mit der Heimat ist es manchmal so: Wenn einem alles vertraut ist, kann man sich besonders fremd fühlen. Im Ausland hingegen versteht man nicht alle Doppeldeutigkeiten, ist deshalb nicht so schnell beleidigt. Fremdsein hat etwas Schönes. Aber nach zwölf Jahren in Frankreich wollte ich wieder zurück, denn ich hatte das Gefühl, dass es sonst zu spät wird und ich nicht mehr zurückkehren kann.

Sie sind Anfang 30 und haben schon eine Karriere hinter sich. Boris Becker sagt, dass kein noch so schöner Vertragsabschluss im Geschäftsleben dem Hochgefühl eines Matchballs nahe kommen kann.

Als ich meine Tochter bekommen habe, hat sich bei mir viel verändert. Da war etwas, das bis heute viel wichtiger ist als die Karriere. Ich hatte ohnehin nicht mehr viel Lust zu modeln, war so ein bisschen ausgebrannt. Oft habe ich monatelang durchgearbeitet, musste dreimal pro Woche in ein anderes Land fliegen.

Es gibt Frauen in Ihrem Alter, die davor zurückschrecken, Kinder zu bekommen, weil sie glauben, ihre Freiheit zu verlieren.

Verstehe ich nicht. Es ist fantastisch, seine Freiheit verlieren zu dürfen für etwas Schönes wie Kinder. Was heißt frei sein? Doch nur: dass man sich niemandem gegenüber rechtfertigen muss, dass es niemanden gibt, der einem etwas bedeutet. Jetzt, da meine Kinder sieben und vier sind, kann ich beruflich aktiver werden. Aber es hat gedauert, bis ich mich getraut habe. Ich habe einiges abgelehnt.

Sogar eine Rolle in Luc Bessons „Das fünfte Element“.

Ich dachte, die wollen mich nur, weil ich als Model den Film schmücke. Dann war da immer diese Angst zu versagen. Ich war nie auf einer Schauspielschule, hatte diese sehr deutsche Einstellung, dass man für alles erst eine Ausbildung braucht. Das hat sich bei mir so verfestigt, dass ich mich nie getraut habe. Irgendwann hat mir Detlev Buck gesagt: „Nadja, du wirst immer einen Vorwand finden, um eine Rolle abzulehnen. Entweder du findest sie zu klein, zu groß, zu national oder zu international. Du musst dich einfach trauen.“ Als dieses Angebot fürs ZDF kam, konnte ich nicht nein sagen. Klar kann ich Fehler machen, aber wer sagt, dass ich keine zweite Chance bekomme?

Manche Schauspieler werden während des Drehens eins mit ihrer Rolle. Sie haben eine Mutter unter Mordverdacht gespielt und kamen abends heim zu den Kindern.

Ich habe mich zwei Monate mit einem Coach auf die Rolle vorbereitet. Er hat mir beigebracht, die Rolle abzulegen nach Drehschluss. Man verabschiedet sich abends von ihr und sagt: „Gute Nacht, Eva, ich freue mich auf morgen.“ Wichtig ist auch, dass man sich eine Biografie ausdenkt. Wo kommt sie her, wer waren ihre Eltern? Wer ist der Vater ihres Kindes? Das weiß der Zuschauer nicht.

Was haben Sie sich für die Rolle überlegt?

Dass sie eine schwere Kindheit hatte.

Ihre Mutter, Frau Auermann, hat Sie alleine großgezogen – haben es Scheidungskinder schwerer?

Wenn es heißt, die harte Kindheit der Scheidungskinder, kann ich nur sagen: Nichts im Leben ist nur Halligalli. Ich bin durch diese frühe Erfahrung schneller erwachsen geworden. Das hat mir beim Modeln geholfen, weil ich nicht viel auf Partys gegangen bin. Ich musste nicht überall dabei sein. Es war ein guter Schutz.

Es gibt einen Unterschied zwischen einer Mutter, die manchmal nicht da ist, weil sie arbeiten muss, und – wie in Ihrer Kindheit – einem Vater, den man nur selten sieht.

Mein Vater war absolut präsent, das vorneweg. Aber natürlich fand ich es als Kind nicht immer toll. Da meine Mutter arbeiten musste, war ich wohl ein Schlüsselkind – wie man das so nennt. Ich glaube, dadurch habe ich meine Unabhängigkeit und Selbstständigkeit bekommen.

Sie waren in Ihrer Kindheit schwer krank.

Ja, ich musste dreimal an den Nieren operiert werden. Meine erste Operation hatte ich mit vier. Später dachte ich: Gott möchte nicht, dass ich lebe, sonst würde er mich nicht krank werden lassen. Man hatte mir erzählt: Wenn ich vor 100 Jahren geboren wäre, wäre ich im Alter von fünf gestorben. Eine Zeit lang habe ich mich gefühlt, als ob ich unrechtmäßig lebe. Nach der dritten Operation mit neun wäre ich fast gestorben. Die Operation dauerte, es stand auf Messers Schneide. Danach dachte ich: Wenn Gott gewollt hätte, dass ich sterbe, hätte er den Ärzten nicht die Fähigkeit gegeben, mich zu retten. Von da an habe ich jeden Tag als Geschenk empfunden. Ich habe immer gedacht, ich werde nicht älter als 30. Übrigens hatte ich noch Probleme mit den Nieren, als ich als Model arbeitete. Wir mussten oft draußen Aufnahmen machen, wenn es kalt war und wir nur dünne Kleidchen anhatten. Einmal glaubte mir ein Fotograf nicht, dass ich krank war. Als ich nach Hause kam, hatte ich 41 Fieber und musste sofort in eine kalte Wanne.

Als Model begibt man sich in die Hände eines Fotografen, als Schauspielerin hört man auf die Anweisungen des Regisseurs …

Ich bin ein sehr kontrollierter Mensch, aber ich gebe gerne die Kontrolle ab.

Wirklich? Sie machen auf uns den Eindruck, als ließen Sie sich nicht gerne fallen.

Stimmt wahrscheinlich. Seitdem meine Kinder auf der Welt sind, habe ich Angst beim Fliegen, vor dem Absturz, Angst, sie alleine zu lassen. Vorher war ich anders. Ich weiß, wie ich im Alter von 24 in der Concorde saß und dachte: Wenn ich jetzt abstürze, kann ich mich nicht beklagen: Danke, tolles Leben gehabt.

Das Interview führten Christoph Amend und Annabel Wahba.

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