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Medien: „Ich war doch nur ihr Rottweiler“

SETTING Berlin, Mehringdamm. 10 Uhr.

Von Barbara Nolte

SETTING

Berlin, Mehringdamm. 10 Uhr. Die morgendliche Redaktionskonferenz der neuen RBB-Talksendung „Thadeusz“ steht in der ästhetischen Tradition von Kreuzberger WG-Frühstücken: Auf der Tischmitte liegen drei verschrumpelte Orangen, die nie mehr jemand essen wird, die aber noch bis mindestens Weihnachten dort liegen bleiben werden. Der Redaktionsleiter und die Producerin trinken schwarzen Kaffee, die Milch ist alle, die Praktikantin gähnt. Jörg Thadeusz blättert durch die „Titanic“, er raucht schon die zweite Gauloise, raucht sich wach. Gestern haben sie die ersten beiden Folgen seiner neuen Sendung aufgezeichnet. Anschließend waren sie einen darauf trinken. Die Schauspielerin Julia Jentsch war zu Gast. Kein einfaches Gespräch. „Vor allem“, sagt Jörg Thadeusz, „ weil ich sie mit einer Sensibilität befragt habe, als würde eine Panzerbrigade durch ein SOS-Kinderdorf fahren, und man sich dann wundert, dass kein Widerstand kommt.“

MATERIALLAGE

Die Offenheit, mit der Jörg Thadeusz den Besucher, ja, überfällt, ist nur damit zu erklären, dass Journalisten seine natürlichen Freunde sind, so wie sie die natürlichen Feinde beispielsweise von Jürgen Fliege oder Johannes B. Kerner sind. Jörg Thadeusz kann also entspannt die Beine übereinander schlagen und vom nächsten schwarzen Moment seiner Karriere erzählen: als er die ehemalige DDR-Spitzenschwimmerin und heutige „ZDF-Fernsehgarten“-Moderatorin Andrea Kiewel in der „NDR-Talkshow“ fragte, ob ihr damals von den Dopingmitteln Haare auf dem Rücken gewachsen seien. Thadeusz lacht. Er kann sich fast sicher sein, dass seine Offenheit für ihn verwendet wird. Die Medien haben sein bisheriges Berufsleben aufs Wohlwollendste begleitet: Der „Stern“ lobte „seinen trockenen Humor“ über drei Seiten. „FR“ und „SZ“ priesen seine Moderationstexte bei der Satiresendung „Extra3“ als „Kleinode“.

THESE 1

Jörg Thadeusz ist das Talent des deutschen Fernsehens.

„Da muss ich immer an Andy Möller denken“, sagt er.

Umgekehrt formuliert: So richtig Quote haben Sie noch nie gebracht.

Stimmt, sagt er. „Alles, was ich gemacht habe, war Special Interest.“

Alles – bis auf „Leute am Donnerstag“. Mit der Talkshow sollte er im vergangenen Jahr massenkompatibel werden. „Leute am Donnerstag“, das er zusammen mit Ulla Kock am Brink moderierte, war als Aushängeschild für das aus dem SFB und ORB fusionierte Dritte Programm gedacht.

„Ulla band ein Millionenpublikum. Ich war so etwas wie ihr Rottweiler“, sagt er.

Oft war er allerdings ein sedierter Rottweiler. Unkonzentriert, abwesend. Mehr am eigenen originellen Zwischenruf interessiert als an seinen Gästen.

THESE 2

Eigentlich sind Ihnen Gäste lästig. Zu Hause laden Sie sich nie welche ein.

„Doch, ständig“, sagt er. „In meiner Wohnung in Pankow habe ich einen großen runden Tisch, an den acht Leute passen.“ Er kocht sogar selbst: Suppe, Coq au vin, dazu gemischten Salat.

Seit vier Jahren lebt Jörg Thadeusz nun in Berlin. Zu den begeisterten Neu-Berlinern zählt er nicht. „Ich finde, dass das Falsche gehypt wird: zum Beispiel diese Prenzlauer-Berg-Idioten. Typen, die so alt sind wie ich, setzen sich eine komische Mütze auf und gucken am Straßenrand den Hunden beim Kacken zu. Da finde ich nichts cool dran.“

LEBENSLAUF

Jörg Thadeusz stammt aus dem Ruhrgebiet: aus Dortmund, Jahrgang1968. Nach dem Abitur zog er nach Köln, dann nach Hamburg. Den Jobs hinterher. Er moderierte auf so ziemlich allen Radiowellen des WDR, des NDR, jetzt bei Radio 1. Seit sechs Jahren macht er außerdem Fernsehen. Nebenbei hat er noch zwei Romane geschrieben: „Rette mich ein bisschen“ und „Alles schön“. Sein Lebenslauf liest sich wie der eines Getriebenen. Thadeusz aber sagt: „Es ist mehr der Ehrgeiz des Kleinbürgertums, aus dem ich komme: Wenn man nicht arbeitet, ist man faul, und dann hat man es auch verdient, dass einem diverse Unglücke zustoßen.“ Im Frühjahr ist es in seinem Leben ein bisschen ruhiger geworden. „Leute am Donnerstag“ wurde eingestellt.

Herr Thadeusz, woran lag’s?

„Wir haben nur schwer Fahrt aufgenommen, und da ist dann schnell eine gewisse Weinerlichkeit meiner selbst dazugekommen. So was Mädchenhaftes. Ich war schon nach sechs Wochen irgendwie muffig, ich habe die Redakteure teilweise respektlos behandelt, aus Launenhaftigkeit.“

Seine Offenheit ist erstaunlich. Sehr sympathisch. Natürlich beherzigt Jörg Thadeusz auch das Prinzip, das vor Gericht gilt: Was sowieso herauskommt, gibt man besser zu. Die alten RBB-Kollegen haben ihre Kritik längst breit gestreut. Selbst dass Thadeusz ihnen ein Weihnachtspräsent machte, versöhnte sie nicht, denn er verschenkte seinen eigenen Roman.

THESE 3

Hinter Ihrer selbstkritischen Art steckt auch eine große Selbstgefälligkeit.

Stimmt, sagt er: „Hybris, Selbstüberschätzung.“ Thadeusz macht seinen „Extra3“- Gesichtsausdruck. Ist natürlich ironisch gemeint. „Ich finde mich im Fernsehen gar nicht so irre. Zwischendurch sehe ich aus wie ein freundlicher Keiler: diese komischen Haare, der bullige Schädel.“

Wahrscheinlich ist es so: Jörg Thadeusz ist sich selbst sein liebster Kritiker.

Er schiebt die Kassette mit der Premierensendung in den Videorekorder. „Oh Gott, wie sitze ich wieder da!“, sagt er.

Er hat die Füße an den Stuhlbeinen verhakt. Ihm gegenüber sitzt Ildikó von Kürthy, die Bestseller-Autorin. Eine halbe Stunde befragt er sie. Das ist das Prinzip der neuen Sendung. Vor ihr liegen eine nackte Barbie und eine Big-Jim-Puppe. Ildikó von Kürthy schreibt Liebesromane, aber ohne Sexszenen. Jörg Thadeusz hat ein paar Sexszenen geschrieben, die sie ergänzen und mit den Barbiepuppen nachspielen soll. „Es war kein Schüttelfrost“, liest er, „aber Margarethe hatte sich noch nicht wieder unter Kontrolle. Dieser Ulf, dieser fantastische Küsser, dieser Schmeichler und Schmutzigsprecher. Dieser eigentlich Krawattenverknotete, aber jetzt völlig Entfesselte, dieser Ulf war immer noch …“ Von Kürthy schaut irritiert, dann sagt sie lachend „… der peinlichste Mann, der ihr je begegnet ist“. Es ist wirklich komisch. Was bei „Leute am Donnerstag“ ins Leere lief, klappt diesmal. Im Einzelgespräch können sich Thadeusz und sein Gast aufeinander einstellen. Bis Weihnachten kommen noch Marcel Reif, Julia Hummer und Klaus Wowereit. Ob Wowereit mit Legosteinen den neuen Flughafen Schönefeld bauen darf?

Nein, sagt Thadeusz. „Politikern muss man es unbequem machen. Wowereit hat es sich arg gemütlich eingerichtet: Er hat keine politischen Gegner und freut sich die ganze Zeit, dass er der Regierende Bussi-Bär sein darf.“ Als verantwortungsbewusster Moderator müsse man „Wowereit auf den Wecker fallen“.

Jörg Thadeusz lacht. Er freut sich schon auf den nächsten Eklat.

„Thadeusz“: am Montag, Dienstag, Mittwoch um 22 Uhr 15, RBB

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