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Im Radio: Das Gedächtnis des Fleisches

Tom Peuckert verrät, welche Radiosendungen Sie nicht verpassen sollten.

Ab heute wird auf Bayreuths grünem Hügel wieder Musik gemacht. Wie in jedem Jahr fangen die Festspiele mit den „Meistersingern“ an, diesmal inszeniert von Urenkelin Katharina Wagner. Triumph oder Scheitern dieser Regiearbeit werden den familiären Kampf um Bayreuths Chefsessel wohl entscheidend beeinflussen. Wer nicht zur handverlesenen Prominenz gehört, darf den Premierenabend immerhin live am Radio erleben. Zwar wird nicht zu sehen sein, was die Urenkelin auf der Bühne anstellt, aber die Reaktionen des Publikums hat man doch aus erster Hand. Bravostürme oder Rufe nach Lynchjustiz? (Kulturradio, 25. Juli, ab 15 Uhr 55, UKW 92,4 MHz).

Zum Beruf des Autors gehört es, sein Geschriebenes öffentlich vorzulesen. Wer auf dem Markt Erfolg haben will, darf nicht in der Dichterklause hocken bleiben. Manchmal erlebt der lesende Schreiber allerdings unangenehme Überraschungen. In seiner Langen Radionacht „Schwarze Stunden“ erzählt Autor Thomas Böhm von Dichterlesungen, die ganz und gar gescheitert sind. Eine Revue der literaturbetrieblichen Pannen und Peinlichkeiten, von der Antike bis zur Gegenwart. Rilke bekam heftiges Nasenbluten beim Lesen, der englische Schriftsteller Sweeney verlor sein Gebiss. Dann wieder genügt ein vollkommen indisponierter Moderator oder eine Horde schläfriger Spießbürger im Publikum, um die Lesung zur „schwarzen Stunde“ werden zu lassen (Deutschlandradio Kultur, 28. Juli, ab 0 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

Der letzte Kaiser der Deutschen war von der Idee besessen, seinem Reich einen Platz an der Sonne zu verschaffen. Er liebte auch Kriegsschiffe, je dicker, desto besser. Am Ende ging Wilhelm Zwo als Weltkriegsverlierer ins Exil, ein paar Millionen Tote auf dem Gewissen. „Das deutsche Volk ist eine Schweinebande“, so der Titel eines Features von Renate Eichmeier nach einem markanten Ausspruch des Monarchen. Für ihr Porträt greift die Autorin auf Originaldokumente zurück: Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Memoiren, Artikel, Reden der Epoche. Aus ihnen entsteht das Bild einer deutschen Schicksalsfigur: grotesk, maßlos, innerlich zerrissen (Deutschlandradio Kultur, 28. Juli, 18 Uhr 05).

Schlachthöfe sind diskrete Orte, zu denen die Öffentlichkeit kaum Zugang hat. Schnitzel und Leberwurst verraten demnach nichts von dem industriellen Gemetzel, das ihrer Entstehung vorausging. Aber nun hat Feature-Autor Rolf Cantzen einen Schlachthofbummel unternommen, stellvertretend für alle, die doch einmal hinter den Vorhang schauen möchten. Rolf Cantzen erzählt von Fleischfabriken in Geschichte und Gegenwart, vom Innenleben moderner Würste, von Welt- und Selbstbildern der Fleischerinnung. „Fleischerslust“ heißt dieser Streifzug, der weder selbstgefällig moralisiert noch die moralischen Kosten unserer Fleischgenüsse unterschlägt (Deutschlandfunk, 29. Juli, 20 Uhr 05, UKW 97,7 MHz).

Wer Memoiren schreibt, tut das meist nach bestem Wissen und Gewissen. Man möchte grundehrlich sein beim Erinnern, alles genau so erzählen, wie es gewesen ist. Aber dem stehen beträchtliche Hindernisse entgegen, wie die Neurologen herausgefunden haben. In ihrem Feature „Wir sind, was wir erinnern“ erzählt Peggy Fuhrmann von den Resultaten der zeitgenössischen Gedächtnisforschung. Autobiografisches Erinnern ist radikal subjektiv. Unser Gedächtnis sorgt sich weniger um die exakte Reproduktion des Vergangenen als um dessen Nützlichkeit für die Gegenwart. Je älter ein Mensch wird, umso mehr verwandeln sich seine Erinnerungen in Wunschträume. Memoiren sind folglich immer auch rückwärts gewandte Utopien (Kulturradio, 30. Juli, 19 Uhr 04).

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