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Im Radio: Die Romantik des Callcenters

Tom Peuckert verrät, was Sie nicht verpassen sollten.

Kürzlich schrieben die Zeitungen über einen elfjährigen spanischen Jungen, der in der Arena an einem Tag gleich sechs Stiere getötet haben soll. Ein düsteres Weltwunder, das allen Tierschützern gewiss die Zornesröte ins Gesicht treibt. Der Tradition des Stierkampfs widmet sich das Feature „Leben in Freiheit, Tod in der Arena“ von Haraldt Brandt. Der Autor trifft in Spanien erbitterte Gegner wie glühende Befürworter der Corrida. Während ein junger Torero von der spirituellen Beziehung zwischen Stier und Kämpfer schwärmt, sehen Spaniens Tierschützer nur Sadismus und Barbarei. Brandt besucht die Arenen und findet eine zutiefst gespaltene Nation (SWR 2, 18. März, 19 Uhr 20, Kabel UKW 107,85 MHz).

Einst galt die Mathematik als Königin der Wissenschaften. Welche Rolle spielt sie heute auf den Märkten des Denkens? Für sein preisgekröntes Feature „Alles ist Zahl“ hat Autor Matthias Eckoldt das Berliner „Matheon“ besucht. In diesem „Exzellenzzentrum“ steigen Spitzenforscher aus den Höhen der Abstraktion hinab ins praktische Leben. Im „Matheon“ werden Strahlenkanonen für die Krebsbehandlung und Animationscomputer für die Studios in Hollywood optimiert. Auch den Fahrplan der BVG hat man auf rechnerische Schwächen überprüft. Gegen die Widerstände altgedienter Nahverkehrspraktiker, die sich am Ende allerdings durch zahlreiche Einspareffekte belehren lassen mussten (Deutschlandradio Kultur, 19. März, 19 Uhr 30, UKW 89,6 MHz).

Vor zwanzig Jahren war Anatoli Tschernjajew der wichtigste Berater des sowjetischen Staatschefs. Er schrieb Tagebuch über die Zeit des großen Umbruchs, als in Europa kein Stein auf dem anderen blieb. Im Feature „Tschernjajew erzählt“ von Mario Brandi und Ulrike Bajohr erlebt der Hörer Weltpolitik aus intimer Nähe. Wie die russische Führung damals auf die Welt blickte, welche Strategien Gorbatschow verfolgte, ob es Alternativen gab. Man begreift, welch wichtige Rolle persönliche Beziehungen zwischen Mächtigen spielen und erfährt einiges über die Macht des Geldes im Geschichtsprozess. Ging es doch zwischen Gorbatschow und Kohl immer auch um die Frage, welche Summen die Sowjetunion für ihre Zustimmung zur deutschen Einheit erhält (Deutschlandfunk, 20. März, 19 Uhr 15, UKW 97,7 MHz).

Eine Frau liegt im Operationssaal, um sich ein neues Hüftgelenk einsetzen zu lassen. Die Narkose ist lokal, von der Hüfte bis zu den Zehen ist sie betäubt, aber der Kopf kann sich trotz der misslichen Lage seine Gedanken machen. Während die Chirurgen operieren, sinniert die teilanästhesierte Hauptfigur im Hörspiel „Im Stein“ von Christa Wolf über alte Mythen, in denen Menschen zu Stein verwandelt werden. Kann man die Versteinerung nicht auch als Metapher verstehen? Sind absichtsvolle Betäubung und fühlloses Anwesendsein nicht Funktionsgeheimnisse unserer modernen Kultur? (Kulturradio vom RBB, 20. März, 22 Uhr 04, UKW 92,4 MHz)

Wie klingt es, wenn Mitarbeiter eines indischen Callcenters Texte deutscher Romantiker lesen? Was geschieht, wenn diese Lesung dann über das digitale Kommunikationsnetz Skype übertragen wird und in die Ohren deutscher Hörer dringt? Die Künstlergruppe Rimini Protokoll macht die Probe aufs Exempel. Protagonist ihres Hörspiels „Waldeinsamskype“ ist ein junger Mann in Kalkutta, der die deutsche Romantik nicht nur kennt, sondern auch liebt. Eine Novelle von Tieck hat er sich als Lektüre ausgesucht. Im digitalen Universum stürzen Raum und Zeit ineinander, die Kulturen verschmelzen, alte mythische Motive der Deutschen erleben eine überraschende Wiedergeburt (Deutschlandfunk, 24. März, 20 Uhr 10).

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