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Im RADIO: Von Vampiren und Doppelgängern

Tom Peuckert verrät, was Sie nicht verpassen sollten.

Was tun, wenn das eigene Kind sich plötzlich zu Vampiren hingezogen fühlt? Wenn es schulfreie Nachmittage am liebsten hinter Friedhofsmauern verbringt und sich abends gern auf Leiche schminkt? Wahrscheinlich ist das Kind gerade der Gothic-Subkultur anheimgefallen, wo man Vampire als eine besonders verehrungswürdige Spezies betrachtet. Nicht nur besorgte Eltern können in Matthias Baxmanns Feature „Zeigt her eure Zähne“ viel über Geschichte und Gegenwart der Blutsaugerei erfahren. Wissenschaftliche Experten, verständige Beobachter, aber auch Jünger des Vampirkults berichten über wegweisende Literatur, klassische Rituale, die Philosophie vom Ganzen. Bei allem Grusel bleibt dem außenstehenden Beobachter der Trost, dass die meisten Vampirfans im Grunde ihres Herzens Anhänger eines gewaltfrei-verträumten Lebens sind. Nur mit der deutschen Friedhofsordnung gibt es manchmal ernsthafte Konflikte (Deutschlandradio Kultur, 1. Juli, 19 Uhr 30, UKW 89,6 MHz).

Haben Sie die ganze „Recherche“ gelesen? Oder sind Sie irgendwo auf den ersten hundert Seiten des großen Werks stecken geblieben? Wer wissen will, wie es im Buch weitergeht, darf nun das Radio einschalten. Wie in jedem Jahr startet Vorleser Peter Matic zu einem sommerlichen Lektüretrip durch Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. In der Gesamtlesung ist Matic nun beim letzten Band angelangt. Der Erzähler geht durch das Paris der Jahre des Ersten Weltkriegs. Er ist ein alter, desillusionierter Mann geworden, aber die verlorene Zeit hat er dank feinster dialektischer Psychologie und größter Wortgewalt endlich wiedergefunden (Kulturradio, im Juli und August montags bis freitags, 14 Uhr 30, Wiederholung 23 Uhr 04, UKW 92,4 MHz).

In einem gutbürgerlichen Restaurant sitzen die Gäste beim Abendessen. Man plaudert, lacht, genießt. Plötzlich passiert draußen vorm Fenster etwas Schreckliches. Eine Frau wird brutal geschlagen. Ein Schock, der alle Anwesenden erstarren lässt. In seinem preisgekrönten Hörspiel „Ruhe 1“ versetzt Autor Paul Plamper die Hörer in immer neuen Anläufen direkt an die Tische der einzelnen Restaurantbesucher. Ganz nah hört man nun deren irritierte Tischgespräche. Muss man auf die Gewalt reagieren? Muss man sich einmischen, muss man helfen? Oder sollte man das da draußen als bedauerliche Privatangelegenheit betrachten? Facettenreich inszeniert Plamper ein öffentliches Versagen. Niemand greift ein, alle finden eine Legitimation für ihr Nichtstun. Ein kunstvolles Stück über Angst und Gleichgültigkeit, Resignation und Kälte (Kulturradio vom RBB, 3. Juli, 22 Uhr 04).

An einem Apriltag Mitte der achtziger Jahre verschlägt es den Düsseldorfer Immobilienkaufmann Strehlow in die Ostberliner Friedrichstraße. Eigentlich will der Mann in Mariendorf einen Baureferenten treffen, um das Geschäft seines Lebens zu machen. Aber das Leben hat manchmal andere Dinge mit einem Mann vor, deshalb beginnt Strehlow jetzt in einen romantisch-dämonischen Abgrund zu stürzen. Wenige Tage später hat der Düsseldorfer eine neue Adresse in Ostberlin, einen neuen Namen, eine neue Familie. Klaus Schlesingers Hörspiel „Trug“ ist ein deutsch-deutsches Märchen, das romantische Doppelgängermotive geschickt in die jüngere Vergangenheit transformiert. Ein sublimes Nachsinnen über die Differenzen zwischen östlicher und westlicher Erfahrungswelt, ein spektakuläres Melodram vor historischen Hintergründen (Deutschlandfunk, 4. Juli, 20 Uhr 05, UKW 97,7 MHz).

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