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In memoriam: Für manche Angehörige und Freunde ist es ein Trost, wenn sie das Profil des Nutzers nach seinem Tod weiter ansehen können. Foto: dpa

© picture alliance / dpa-tmn

In Memoriam: Eingeloggt für die Ewigkeit

Wer stirbt, lebt im Internet weiter. Wie der „digitale Wille“ zum Geschäftsmodell wird.

Mit coolem Blick schaut Carsten in die Kamera, den Hemdkragen hat er lässig nach oben geschlagen. Auf einem anderen Foto lacht er jungenhaft verschmitzt. Fast hundert Bilder hat Carsten bei Facebook hochgeladen, selten vergeht ein Tag, an dem er nicht ein Foto im sozialen Netzwerk online stellt, einen Kommentar schreibt oder eine neue Kontaktanfrage bekommt. Facebook gehört zu seinem Leben – und zu seinem Tod. Knapp ein Jahr ist es jetzt her, dass sich Carsten, der eigentlich anders heißt, das Leben genommen hat. Wenige Stunden zuvor hatte er noch Botschaften auf seiner Pinnwand gepostet. Sie sind hier heute weiterhin zu lesen. So wie die zahlreichen Kommentare seiner geschockten Freunde, als sie von seinem Tod erfahren haben.

Carstens Angehörige haben sich trotzdem entschieden, das Profil nicht löschen zu lassen. „Er hat sein Leben öffentlich bei Facebook gelebt, deshalb soll sein Profil weiter bestehen bleiben und an ihn erinnern“, sagt sein Vater. Ob das im Sinne seines Sohnes ist, weiß er nicht, Carsten hat kein Testament hinterlassen.

Nur wenige Nutzer von sozialen Netzwerken machen sich Gedanken, was mit ihren Profilen nach ihrem Tod passieren soll. Vor allem, weil sie relativ jung sind: Nur drei Prozent der knapp 16,5 Millionen Facebook-Mitglieder in Deutschland sind nach Erhebungen der Website Socialbakers älter als 55 Jahre, 62 Prozent sind zwischen 18 und 34. Doch je älter die Nutzer werden, umso mehr Daten sammeln sie an – zumal die meisten gleich auf mehreren Seiten aktiv sind. Nicht nur bei Facebook, auch auf StudiVZ und SchülerVZ, MySpace, Twitter und Xing, in Blogs und in E-Mail-Diensten tauschen sie täglich Nachrichten aus, laden Bilder hoch und versenden Videos. Sterben die Nutzer, existiert ihre digitale Identität weiter.

Klare rechtliche Regelungen, was mit den Profilen und Daten nach dem Tod der Nutzer passiert, gibt es bisher nicht, sagt Rechtsanwalt Christian Schertz: „ Am besten können sich die Menschen selbst schützen, in dem sie einfach so wenig wie möglich von sich im Netz preisgeben.“ Denn grundsätzlich ende der Persönlichkeitsschutz nach dem Tod. Doch dürften die Dienste mit den personenbezogenen Daten trotzdem nicht machen, was sie wollen. So gehe das Recht am eigenen Bild für zehn Jahre auf die Erben über, sagt Schertz. Diese könnten dann bestimmen, was mit dem Bildnis passiert. „Das Ganze ist und bleibt jedoch vorerst eine juristische Grauzone“, sagt Schertz.

Für manche Angehörige und Freunde ist es ein Trost, die Profile des Verstorbenen weiter ansehen zu können. Andere jedoch wollen durch die virtuelle Persönlichkeit nicht immer wieder schmerzhaft an die echte Person erinnert werden. So wie Sunniva Geertinger. Als ihr Freund starb, wollte sie sein Facebook-Profil löschen lassen. Das sei nicht möglich, habe ihr das Netzwerk geantwortet – obwohl sie die für die Deaktivierung notwendigen Unterlagen an Facebook gesandt habe. Erst als die Presse über ihren Fall berichtete, löschte Facebook das Profil.

Oft wissen Angehörige gar nicht, in welchen Netzwerken der Verstorbene Mitglied war, geschweige denn kennen sie die Passwörter, um die Profile löschen zu lassen. Damit sie nicht der Willkür eines Netzwerkbetreibers ausgeliefert sind oder rätseln, ob der Verstorbene nun sein Profil hätte behalten wollen oder nicht, hat Sunniva Geertinger die Internetseite MyWebwill.com erfunden. Hier kann ein „digitales Testament“ hinterlassen werden.

Internet-Nutzer eröffnen dafür bei MyWebwill ein Konto und teilen mit, bei welchen Anbietern sie Kunde sind und ob das Konto nach ihrem Tod deaktiviert oder bestimmte Inhalte wie eine Abschiedsnachricht an Freunde hochgeladen werden sollen. Dafür müssen MyWebwill die Passwörter mitgeteilt werden, verschlüsselt werden sie von dem schwedischen Unternehmen gespeichert. Stirbt der Nutzer, müssen zwei von ihm benannte Vertrauenspersonen MyWebwill über den Tod informieren und die Sterbeurkunde einreichen. Erst dann wird der „digitale Wille“ umgesetzt.

Seit kurzem gibt es den Service auch in Deutschland. 6,95 Euro kostete er pro Jahr, eine lebenslange Mitgliedschaft 69,95 Euro. Ähnlich funktionieren die Angebote der Online-Dienste Legacy Lockers, AssetLock oder Private Matters – sie sind eine Art Bestatter für das digitale Zeitalter, der Tod und das Internet sind für sie ein Business-Modell. Einfach zu sterben, ohne digitales Fortleben, liegt offenbar nicht im Trend.

Auch Facebook ermuntert dazu, das Profil eines Verstorbenen in den „Erinnerungs“-Status versetzen zu lassen. So könnten Freunde und Familie weiter Kommentare, Wünsche und Nachrichten austauschen und gemeinsam trauern, heißt es beim sozialen Netzwerk, das weltweit rund 600 Millionen Mitglieder hat.

Ex-„Focus“-Chef Helmut Markwort geht einen Schritt weiter. Zusammen mit dem Web-Entwickler Matthias Krage hat er im November eine Art „Facebook für Tote“ gestartet – und verspricht quasi die digitale Ewigkeit. Auf stayalive.com können Nutzer noch zu Lebzeiten ihre virtuelle Gedenkstätte einrichten. Mit Lieblingssongs, Fotos, dem Hinweis, auf welchem Friedhof ihr Grab zu finden ist und Nachrichten an Freunde. 19,90 Euro kostet die Mitgliedschaft für ein Jahr, die „digitale Ewigkeit“ gibt’s für 499 Euro. Der Großteil der rund 15 000 Mitglieder, von denen sich nach Krages Angaben die meisten erstmal für das kostenlose Basiskonto entschieden haben, sei zwischen 16 und 24 Jahre alt, also relativ jung. Doch auch wenn der Tod für sie noch weit weg ist, wird es für die Generation Internet bald selbstverständlich sein, nicht nur virtuell zu leben, sondern auch virtuell zu trauern und den Tod im Netz zu verwalten.

Denn während Gräber verfallen und die Steine darauf verwittern, bleibt eine Internetseite bestehen. Und die Sehnsucht, sich und seinen Angehörigen zumindest virtuell die Unsterblichkeit zu sichern, wächst offensichtlich. Das zeigt auch die zunehmende Zahl von Internet-Friedhöfen. Als größter mit mehr als 250 000 „virtuellen Gräbern“ gilt die Seite emorial.de. Angehörige können hier per E-Mail kondolieren, Erinnerungen austauschen, virtuelle Kerzen anzünden – und sich täglich den Verstorbenen nah fühlen.

Auch auf Carstens Facebook-Seite gibt es seit seinem Tod immer wieder neue Einträge von Freunden und Verwandten. Weil sein Profil nicht im „Erinnerungs“-Status steht, wurden seine Freunde deshalb kürzlich von Facebook per automatischer Benachrichtigung daran erinnert, dass er Geburtstag hat. Gratulieren konnten sie ihm nicht mehr.

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