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Das Titelblatt der aktuellen "Abwab"-Ausgabe. Thema ist unter anderem der Amoklauf in München.

© Promo

Integration mit Medien: Deutschland, öffne dich

Geflüchtete und Einheimische betreiben gemeinsam Medien: Für Geflüchtete und Einheimische

"Abwab" ist die erste und einzige Zeitung, die Geflüchtete in Deutschland für Geflüchtete in Deutschland produzieren. Der arabische Name "Abwab" bedeutet´ "Tür" – die will die kostenlose Zeitung den Menschen öffnen. "Abwab" erklärt deutsche Gesetze und vermittelt Informationen über den deutschen Alltag. Außerdem bietet die Zeitung Reportagen und Interviews von und mit Geflüchteten und Berichte aus Ländern, aus denen viele Menschen geflohen sind, beispielsweise aus Syrien oder Irak.

"Zwischen dem Wochenende, an dem ich die Idee hatte, bis zur ersten Ausgabe am 22. Dezember 2015 lagen nur sechs Wochen", sagt Ducati Dutar dem Tagesspiegel. Er ist der Geschäftsführer der Beratungsagentur NHD Consulting in Offenbach, die an der Herausgabe von "Abwab" beteiligt ist und sich um die Vermarktung kümmert. Seit der ersten Ausgabe erscheint "Abwab" monatlich. Anfangs mit 20 Seiten und einer Auflage von 45.000 Exemplaren, inzwischen mit 24 Seiten und einer Auflage von 70.000. "‚Abwab‘ bringt Themen, die die Menschen interessieren", sagt Dutar, "Und das ist vor allem: Was passiert in Deutschland?"

Deshalb sei die große Weltpolitik im Blatt nicht so wichtig – man setze eher auf lokale Themen. Anfangs wurde die Zeitung größtenteils an Erstaufnahme-Einrichtungen der BAMF verschickt, mittlerweile geht sie vor allem an Behörden, Hilfsorganisationen und Stadtbibliotheken. "Wir wollen zu einem wichtigen Medium der Arabisch sprechenden Diaspora in Deutschland werden", sagt Dutar.

Das Ziel: Mehr Artikel auch auf Deutsch

Produziert wird "Abwab" von fünf bis sechs Stammredakteuren und einem Netzwerk aus etwa 30 Journalisten in ganz Deutschland. Der Chefredakteur ist Ramy Al-Asheq, syrisch-palästinensischer Journalist und Autor. "Inzwischen sind mehr Frauen als Männer aktiv und zwei Seiten pro Ausgabe sind für feministische Themen reserviert", erzählt Dutar, "In der zweiten Ausgabe, nach der Silvesternacht, hatten wir da einen großen Bericht über Köln, auf Arabisch und auf Deutsch." Bislang gibt es in jeder Ausgabe zwei Seiten auf Deutsch. "Der nächste Schritt ist, alle Artikel der Webseite auf Deutsch zu veröffentlichen", sagt Dutar.

"Abwab.eu" wurde im März gestartet, doch bisher sind nur wenige Texte übersetzt worden – aus Kostengründen. "Abwab" finanziert sich zwar durch Werbung selbst, aber Redakteure und Autoren werden bisher nicht bezahlt. "Wir haben einen Antrag an die EU gestellt", sagt Dutar, "Mit dem Geld wollen wir Übersetzer einstellen, die jeden Artikel auf Deutsch übersetzen." Die Redaktion bekäme viel Unterstützung, sagt er, aber auch Kritik. "Manche Menschen verstehen nicht, dass man nicht sofort eine Zeitung in einer fremden Sprache lesen kann und fragen: ‚Wenn ihr eine Zeitung auf Arabisch macht – wie sollen die Menschen denn Deutsch lernen?‘ Aber ich habe das Gefühl: Jeder, der überhaupt liest, hat weniger Probleme mit der Integration."

Die Zeitschrift "Heimfocus" erscheint seit 2010

Einige Artikel aus "Abwab" erscheinen auch in der kommenden Ausgabe von "Heimfocus". Das Magazin wurde vom äthiopischen Journalisten Addis Mulugeta und der deutschen Ärztin Eva Peteler gegründet. Bis heute bilden die beiden die Stammredaktion – gemeinsam mit dem iranischen Grafiker Maneis Arbab. Die erste Ausgabe, erschienen im August 2010, entstand in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. Seitdem erscheint das Magazin alle drei Monate online – und gedruckt in einer Auflage von 2.500 mit 48 bis 52 Seiten, finanziert von der Druckerei Flyeralarm.

Während die ersten beiden Ausgaben auf Englisch und Deutsch vor allem Informationen für die Geflüchtete in der Würzburger Unterkunft enthielten, hat sich "Heimfocus" in den letzten Jahren verändert: Heute sind fast alle Artikel auf Deutsch und das Magazin zielt nicht mehr auf Geflüchtete, sondern auf Einheimische.

Die deutsche Startseite von "Abwab.eu"
Die deutsche Startseite von "Abwab.eu"

© Tsp

"Wir haben relativ schnell gemerkt, dass sich nur wenige Geflüchtete für gedrucktes Infomaterial interessieren", sagt Eva Peteler dazu dem Tagesspiegel, "Und dass es auch auf der Seite der Einheimischen unglaubliche Informationsdefizite über Flucht und Asyl gibt." Viele Würzburger, erzählt Peteler, hätten damals gar nicht gewusst, dass am Rande ihrer Stadt eine Unterkunft steht. "Sie hatten keine Ahnung über Geflüchtete in ihrer Nachbarschaft", sagt Peteler, "Aber sie sollten und wollten informiert werden: Wer sind die Geflüchteten? Was machen sie? Was brauchen sie?"

Kritische Betrachtung der Asylpolitik

"Heimfocus" analysiere die Asylpolitik kritisch, sagt Peteler, die in Bayer, in Deutschland und in Europa. "In der kommenden Ausgabe beschäftigen wir uns mit den Aufenthaltstiteln in Deutschland", sagt sie, "Wie müssten sie ergänzt und angepasst werden, damit sie auf die Vielfalt der Migration aus unseren Nachbarregionen die richtige Antwort geben?"

Außerdem ginge es um Fluchtursachen, wie die sogenannte 'Khartoum Erklärung'. "Das sind einige der schlimmsten und brutalsten Regierungen Afrikas. Auch Eritrea ist dabei, das 'Nordkorea Afrikas'. Und mit solchen Leuten schließt unsere Politik Abkommen; man gibt ihnen Geld, Waffen und militärische Schulung, damit sie uns ihre eigenen Landsleute und durchziehende Flüchtende vom Hals halten." Wenn das die Bekämpfung der Fluchtursachen sei, sagt Peteler, brauche man sich über gar nichts zu wundern.

Das Team von "Heimfocus" hat allerdings ein Problem: Es fänden sich kaum Geflüchtete, die selbst schreiben wollen. "Viele sind scheinbar nicht gewohnt, Verantwortung für Politik und Gesellschaft übernehmen zu können und zu sollen - sei es aus Desinteresse oder aus Angst vor Repressalien", sagt Peteler. Dass sich das mit der Zeit ändern wird, davon ist Peteler überzeugt. "Und wir müssen den Geflüchteten dankbar sein dafür, dass sie uns dazu veranlassen, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen", sagt sie, "Wir werden angehalten, viel mehr darüber nachzudenken, was wir als Gesellschaft sind und wollen – und was nicht."

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