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Denken live. Richard David Precht will sechs Mal im Jahr Fernsehen und Philosophie miteinander versöhnen. Foto: dpa

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Intellektuellen-TV: Sind so große Köpfe

Richard David Precht versucht sich in seiner neuen ZDF-Sendung am philosopischen Gespräch.

Lanz kocht, Precht denkt. Ab heute. Vor ein paar Tagen lud das ZDF zur Vorabbesichtigung der ersten Folge. Es zeigte vorsichtshalber nur einen Ausschnitt. Die Journalisten staunten. Zwei große Köpfe – einer gehört Precht und der andere dem Neurobiologen, Hirnforscher und Bildungskritiker Gerald Hüther –, beide immer ganz nah. Manchmal auch nur ein Auge, oder die Hände. Über ihnen aber leuchtet ein großes Ufo, das wahrscheinlich gleich landen will. Im Hintergrund blinken abwechselnd blaue Lampen wie im Cockpit des Raumschiffs Enterprise. Das Ufo ist gar kein Ufo, sondern, wie der Leiter der ZDF-Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft Peter Arens sagt, ein „moderner Kronleuchter“, entworfen vom „Stardesigner Ron Gilad“.

Die Journalisten machen für Augenblicke, was ihr Berufsbild gar nicht vorsieht: Sie schweigen. Dann eine erste bange Frage: Ob die beiden Großgesichtigen sich einander nicht etwas viel bestätigen würden, gleichsam in Grund und Boden?

Die Premiere von „Precht“ trägt den Titel „Skandal Schule – Macht Lernen dumm?“ Hüther ist ein sehr sympathischer Professor; es wurde bereits vermutet, sein außerordentlicher Erfolg erkläre sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass man nicht nur kein Studium braucht, um seine Befunde zu verstehen, sondern auch keines, um sie zu äußern. Er glaubt, jedes Kind ist hochbegabt, wenn schon nicht dem Verstande nach, so doch vielleicht emotional. Precht schaut den Professor an wie die leibhaftige emotionale Begabung. Er kann das auch begründen: Seine Gäste sollen sich bei ihm wohlfühlen.

Richard David Precht, weißer offener Hemdkragen, Nachfolger Sloterdijks und Safranskis sowie Erbe ihres Sendeplatzes erklärt sehr viel, und nein, er habe den Professor nicht zu viel bestätigt. Es handele sich nämlich nicht um eine Talkshow, sondern um ein Gespräch. Miteinander sprechen, heiße, sich aufeinander einzulassen. Precht hatte sein philosophisches Urerlebnis 1985 an einem einsamen Strand von Naxos, als er mit einem durchreisenden Fremden, der Jürgen hieß, über Platons Apologie des Sokrates diskutierte. Vielleicht hätte das ZDF „Precht“ am Strand von Naxos drehen sollen?

Wir wollten ein Design von Nähe, von Intimität, erklärt Gero von Boehm, Altphilosoph des ZDF und jetzt Produzent von „Precht“. Seit wann sind landende Ufos intim? Aber von Boehm ist nicht zu irritieren, er fügt an, dass sogar der Tisch von unten leuchte, und bei alldem sei Wong Kar Wai sein Vorbild gewesen, weniger „In the Mood for Love“ als „Blueberry Nights“.

Erinnert sich noch jemand an „Blueberry Nights“, als Jude Law Norah Jones in diesem New Yorker Nachtcafé den Unterschied zwischen Blaubeerkuchen und Apfelkuchen, Pflaumenkuchen, Schokoladenkuchen erklärt? Der Blaubeerkuchen bleibe immer übrig.

Eines steht fest: In der Unterhaltung von Norah Jones und Jude Law war zehn- mal mehr Philosophie drin als in „Precht“. Fragen wir genauer: War hier überhaupt Philosophie drin? Die „Unterhaltung“ hätte in jede Talkshow gepasst, nur mit dem Unterschied, dass der Professor der Neurowissenschaften mit ein, zwei Nachfragen hätte rechnen müssen.

Die gleichen Zeitgeist-Sprechblasen wie überall

Allein wie das anfängt, Originalton Precht: „Wir überhäufen die Kinder mit einem Wissen, das aus der Vergangenheit stammt.“ Aber woher denn sonst? Und wo hält sich jeder Philosoph, einschließlich des Gastgebers, nicht nur halbtags auf? In der Vergangenheit. Und dann fällt das Wort „Potenzialentfaltungscoach“. Beide wiederholen es gern. Statt Lehrer haben wir künftig „Potenzialentfaltungscoaches“. Die gleichen Zeitgeist-Sprechblasen wie überall.

Vor zwei Jahren hat Precht im „Cicero“ Peter Sloterdijks philosophisches Hauptwerk „Sphären“ kritisiert, unter dem Titel „Einstürzende Sandburgen“. Eine Kritik sagt viel mehr über den Kritiker als über den zu kritisierenden Gegenstand. Auch Precht macht da keine Ausnahme, und das Ergebnis fiel für den Kritiker nicht sehr schmeichelhaft aus.

Die Journalisten wollten noch wissen, ob der Gastgeber einen „Bildungsauftrag“ erfülle, ob er sich „als dialogische Persönlichkeit“ sehe oder gar als Popstar. Letzteres schien Precht seltsam, schon als Vergleich: „Ich bin ein Mensch, der fast keine Musik hört.“ Was, haben wir richtig verstanden? Ein unmusikalischer Philosoph? Friedrich Nietzsche hielt das für symptomatisch. Sokrates, treibe Musik!, habe eine innere Stimme dem Begründer der abendländischen Philosophie immer wieder zugerufen, aber der konnte das nicht mehr, sein kritischer Verstand war längst allein unterwegs, völlig ohne Noten. Auch mit Nietzsche kann Precht nichts anfangen.

Über seine nächsten Gäste will er nichts sagen. „Sie werden verstehen, dass ich gar kein Interesse habe, mit Ihnen über Gästenamen zu sprechen.“ Aber dann entfuhr ihm doch einer: Mathias Döpfner, Springer-Vorstandschef. Sie wollen über dessen „Freiheitsfalle“ nachdenken. Hat der Neurobiologe nicht auch gerade über die Freiheit geredet? „Ich kann keine Vorstellung von der Freiheit entwickeln, wenn ich nicht mit anderen darüber reden kann, was Freiheit ist.“ Aber, Herr Hüther, es ist genau anders herum: Weil ich eine Vorstellung von der Freiheit habe, kann ich auch mit anderen darüber reden! Vielleicht hätte Precht einmal nachfragen sollen? Aber er lächelte den Neurowissenschaftler an wie der Liebhaber in einer Vorabendserie. Sloterdijk glaubt, dass Prechts Klientel der von André Rieu gleicht, also „Damen über 50 in spätdidealistischer Stimmung“. Präzision ist der Takt der Frechheit.

„Precht“, 23 Uhr 25, ZDF

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