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Internationale Reaktionen: Der „rassistische Deutsche“

Wie die Medien im Ausland auf die Thesen von Thilo Sarrazin und die heftige Debatte in Deutschland reagieren

Kein Wochentag ohne Talkshow zum Thema Thilo Sarrazin und die Debatte um sein Buch „Deutschland schafft sich ab“, um die umstrittenen Thesen des Noch-Bundesbank-Vorstands und Noch-SPD-Politikers zu Migration, zu Integration, zu kultureller Identität, zu Juden und Genen. Es wurde auch viel diskutiert über die Institution Bundesbank und das Ansehen im Ausland. Wie bewerten ausländische Medien den Fall Sarrazin?

Türkei: Hitlervergleich und eine beschwichtigende Kanzlerin

Die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ brachte in ihrem Innenteil ein Foto, auf dem Sarrazin mit verschränkten Armen zu sehen war – daneben ein Bild von Adolf Hitler in ähnlicher Pose, das in einer Gedankenwolke, wie sie aus Comics bekannt ist, mit Sarrazins Kopf verbunden war. „Der Hitler des Geldes wird vor die Tür gesetzt“, lautete die Überschrift. Im deutsch-türkischen Verhältnis ist das Thema Integration besonders sensibel. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab deshalb am Freitag ein Interview in der „Hürriyet“, der größten türkischen Tageszeitung. Sarrazins Thesen seien „Unsinn“, die meisten Türken in der Bundesrepublik seien gut integriert, versicherte die Kanzlerin. Bei der türkischen Regierung kamen die Äußerungen der Kanzlerin gut an. Ankara sei froh über die „schnelle und klare“ Stellungnahme der Kanzlerin, ließ das türkische Außenministerium verlauten.

Zwar müssten die Probleme bei der Integration klar benannt werden, sagte Merkel. Doch Sarrazins Äußerungen seien nicht hinnehmbar. „Ganze Gruppen in unserer Gesellschaft fühlen sich dadurch verletzt.“ Die Kanzlerin betonte, Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik, aber auch die türkischen Einwanderer müssten den Willen haben, miteinander zurechtzukommen. „Das Zusammenleben ist ein Geben und Nehmen.“ Die Einwanderer müssten vor allem bereit sein, Deutsch zu lernen und „die deutschen Gesetze einzuhalten“.

Merkel ist offenbar die in Deutschland mit heftigen Protesten aufgenommene Kölner Rede von Premier Recep Erdogan, in der er vor zwei Jahren vor einer Assimilierung der Türken durch die Bundesrepublik warnte, noch sehr präsent, denn Merkel betonte in der „Hürriyet“, Deutschland verstehe unter Integration „keine erzwungene Assimilation oder das Leugnen der eigenen Wurzeln“. Das Interview des Berliner „Hürriyet“-Korrespondenten Ahmet Külahci mit der Kanzlerin war der Aufmacher der Zeitung. Auch für andere Blätter war das Thema Sarrazin wichtig genug, um es auf der Titelseite zu platzieren. Der Vorstoß der Bundesbank um Ablösung Sarrazins wurde dabei begrüßt: „Der rassistische Deutsche wird rausgeschmissen“, titelte „Milliyet“. Thomas Seibert / Istanbul

Israel: „Jüdisches Gen“ kein Thema

Die Sarrazin-Affäre ist in Israel kein großes Thema, denn Regierung, Bevölkerung und die Medien haben derzeit ganz andere Probleme und Interessen-Schwerpunkte als echte oder vermeintliche antisemitische Äußerungen eines halbprominenten deutschen Politikers und Bankers. Gipfeltreffen in Washington und der Wiederbeginn der direkten Verhandlungen zwischen israelischer Regierung und Palästinenser-Vertretern beherrschen Nachrichtensendungen und Magazine. So findet sich die Entlassungsempfehlung der Bundesbank lediglich in einer Zeitung – immerhin in der angesehensten: der „Haaretz“ des deutschstämmigen Verleger Amos Schocken, aber erst auf Seite 18 und nur kommentarlos als Agenturmeldung. Zu Beginn der Affäre waren allerdings auch andere Medien auf Sarrazin aufmerksam geworden, genauer auf das, was sie als eindeutigen Antisemitismus werteten, verbunden mit antiislamischen Ausfällen.

Doch auf Sarrazins Hinweis auf ein spezielles „jüdisches Gen“ gingen die Medien in Israel nicht weiter ein – mit gutem Grund: Die vor einiger Zeit von Wissenschaftlern entdeckte, gemeinsame genetische Spezifizierung der meisten Juden dient Israel durchaus auch als politische Waffe im Konflikt mit den Palästinensern.Charles A. Landsmann, Tel Aviv

Frankreich: Eigene Skandale dominieren

In Frankreich sorgt der Fall Sarrazin für wenig Aufsehen – zu sehr ist das Land mit eigenen Skandalen um Arbeitsminister Eric Woerth in der Bettencourt-Affäre beschäftigt. Die Affäre um Thilo Sarrazin wird von den Medien eher distanziert behandelt, vor allem wird die Debatte in Deutschland wiedergegeben. Die großen nationalen Zeitungen wie „Le Figaro“ und „Le Monde“ beschränken sich auf die Fakten. Ob eine Abberufung des Bundesbankvorstands die Meinungsfreiheit einschränken könnte, wird nicht thematisiert, in erster Linie geht es um die umstrittenen Äußerungen über Migranten. Die Tageszeitung „Le Monde“ interpretiert die heftige Debatte in Deutschland damit, dass man in dem Land „sensibel auf antisemitische Themen“ reagiere und im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern rechtsextreme Parteien bisher kein wirkliches politisches Gewicht hätten. Tanja Kuchenbecker/Paris

Großbritannien: Sarrazins Thesen sind Briten nicht fern

Sarrazins Thesen stehen den Briten selbst zu nah, um sich darüber zu mokieren. Der Glaube an die multikulturelle Gesellschaft ist schon lange ins Wanken gekommen. Briten fürchten sich vor einem Bevölkerungswachstum, das hauptsächlich von Einwanderern angetrieben wird. Die Koalitionsregierung will die nicht-europäische Einwanderung dramatisch einschränken. In Großbritannien hat die Affäre Sarrazin nur milde Aufmerksamkeit erregt – am meisten interessierten sich die Wirtschaftszeitungen für den Bundesbanker. Weder dem Deutschlandbild der Briten noch der Reputation der Bundesbank scheint bleibender Schaden zugefügt. In keinem Medium wurden Sarrazins Äußerungen mit dem alten NS-Deutschlandbild zusammengebracht. Allenfalls wundern sich die Briten darüber, wie in Deutschland Posten nach Parteienproporz statt nach Wissen und Erfahrung besetzt werden. Die „Daily Mail“ – die führende Zeitung in der britischen Immigrationsdebatte – hatte bereits im Juni über Sarrazins Thesen berichtet und in der Schlagzeile von einem „erstaunlichen Ausbruch“ gesprochen. In den letzten Tagen gab es in den großen Zeitungen sachliche Berichte einiger Deutschlandkorrespondenten. Sarrazin habe eine wichtige Debatte verhindert, indem er eine „Konfrontation zwischen populären Vorurteilen und politischer Korrektheit“ anzettelte, schrieb die „Financial Times“. Matthias Thibaut, London

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