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Jarvis

© Jake Jarvis

Internet: Google für alle

Kann man von der Datenkrake lernen? Besser, man lernt schnell, meint der amerikanische Medienexperte Jeff Jarvis in seinem Buch "Was würde Google tun?"

Vor Google gibt es kein Entkommen. Wenn wir nach einer neuen Wohnung, einem neuen Auto oder einer neuen Liebe suchen, wenn wir bei uns irgendeine Krankheit vermuten, ein Kochrezept brauchen oder in den Urlaub fahren wollen, dann fragen wir: Google. Google ist im Netz omnipräsent, Google hat ein Quasi-Monopol. Genau deshalb werden auch immer mehr Unkenrufe laut, man müsse sich vor der „Datenkrake“ in Acht nehmen. Und jetzt macht uns ein amerikanischer Professor auch noch den Vorschlag, man soll sich genauso verhalten wie Google. Geht’s noch?

Doch halt. „Was würde Google tun?“ ist kein Buch über Google. Es ist viel mehr ein Buch darüber, wie das Internet unsere Welt verändert hat und was man von Google lernen kann. Wie das geht, erklärt einem unterhaltsam, informativ und auch noch verständlich der New Yorker Medienexperte Jeff Jarvis.

In der Medienbranche ist Jarvis bekannt wie ein bunter Hund, auch wenn er wohlerzogene Haare hat. Er ist als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des „Weltwirtschaftsforums“ in Davos gelistet, der Verleger Hubert Burda hört ihm gerne aufmerksam zu, und die britische Tageszeitung „Guardian“ schmückt sich mit einer Jarvis-Kolumne.

Die nur leicht wuschelige Frisur und der gepflegt gestutzte Bart lassen den Professor für interaktiven Journalismus rundum sympathisch erscheinen. Der wache Blick durch die dünnen Kunststoffgläser seiner Brille verrät: Jarvis ist freundlich, aber nicht gemütlich. Im Gegenteil. Jarvis bringt die Sachen auf den Punkt – mitunter in scharfem Ton. Der ehemalige Reporter und jetzige Blogger hat eine besondere Fähigkeit, Beobachtungen gezielt auf ein gut sitzendes Schlagwort zuzuspitzen. Google-optimiert, sozusagen.

Wie Google das Wirtschaftsleben verändert hat, demonstriert Jarvis an seinem Blog www.buzzmachine.com. 2005 hatte er sich einen Dell-Computer gekauft. Unzufrieden mit dem ständig kaputten Gerät und genervt davon, von der Firma in Service-Warteschleifen zwischengeparkt zu werden, brachte er mit dem Blogeintrag „Dell nervt“ seinen Unmut zum Ausdruck. Er beschrieb sein Elend mit dem teuer bezahlten Wartungsservice, und Dutzende, Hunderte und schließlich Tausende von Menschen schlossen sich Jarvis’ Meinung an. Suchte man bei Google nach „Dell“, erschien sein schimpfender Beitrag schon bald nur wenige Positionen hinter der offiziellen Website der Firma. Dell hatte ein Problem.

Lange versuchte die Computerfirma, die Meinungen ihrer Kunden im Netz zu ignorieren. Man zog sich auf die Position zurück, wenn jemand etwas von Dell wolle, dann solle er sich gefälligst an die Dell-Website wenden. Außerdem: Wer lese schon Blogs? Auf die Dauer ließ sich das Geraune nicht ignorieren. Das Image war angekratzt, und dieser Kratzer wurde zum Riss. Nach einem knappen Jahr änderte die Firma ihre Haltung. Jetzt kontaktierten Dell- Techniker Blogger, die über ein Dell-Computerproblem berichteten, um ihnen zu helfen. Mit positiver Resonanz: Im Netz erntete man dafür lobende Worte, ja lichte Begeisterung. Dells negative Berichterstattung schlug nicht nur in eine positive um, das Unternehmen hatte verstanden, wie man im Internetzeitalter operiert.

An Beispielen wie diesen erklärt Jeff Jarvis anschaulich, was sich durch Google verändert hat. Denn früher blieb es großen Organisationen vorbehalten, mit viel Aufwand Millionen von Leuten zu erreichen – über Werbung oder Veröffentlichungen in Medien. Seit dem Internet und dank Google ist das anders. Jeder Eintrag im Internet kann potenziell Millionen von Zugriffen haben – wenn er über Google abgefragt wird.

Jarvis’ Buch arbeitet Stück für Stück heraus, was durch das Internet und Google anders geworden ist. Dass ein Unternehmen sich heute nicht mehr nur um die Meinung der Presse, sondern auch um die Meinung seiner Kunden bemühen muss – und von ihnen lernen kann. Dass man Fehler nicht mehr leise, still und heimlich unter den Tisch fallen lässt, sondern damit offensiv und transparent umgeht.

„Was würde Google tun?“ macht dem Leser nicht nur deutlich, wie sich die Welt verändert hat, sondern wie man damit umgehen kann. Als Anregung überzeugt das. Interessant ist jedoch, dass Jarvis’ Konzept offensichtlich seine Grenzen hat. Denn sein eigenes Nachrichtenprojekt Daylife.com befolgt all diese Regeln und hat es dennoch nicht zu großem Erfolg im Netz geschafft. Was nicht gegen das Buch spricht. Wahrscheinlich ist es mit den Netzregeln so wie mit denen zum Komponieren eines Top-Hits. Es erscheint einem so einfach – und doch gelingt es wenigen, sie zu formulieren.

Jeff Jarvis: Was würde Google tun? Heyne Verlag, München 2009, 416 Seiten, 19,95 €

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