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Interview: „Das Kapital ist ein scheues Reh“

Maybrit Illner ist Moderatorin, eigentlich aber Dolmetscherin. Ein Gespräch über Politiker-Deutsch

Frau Illner, für Ihr „süßes Büchlein“, wie es Reinhold Beckmann genannt hat, werden Sie sogar von der „Bild“-Zeitung gelobt. Wie finden Sie das?

Nett. Die können ja auch anders.

Was hat Sie dazu getrieben?

Getrieben ist schön. Anfang 2007 gab es eine Werbekampagne des ZDF für unsere Sendung, die darauf abhob, dass ich als Moderatorin ja ständig auch Übersetzerin von Politikerdeutsch in normales Deutsch bin. Deshalb war da ein Wörterbuch zu sehen mit meinem Konterfei drauf. Das wiederum veranlasste den Langenscheidt-Verlag dazu, mal kurz durchzuklingeln und zu sagen: „Das Cover, Frau Illner, ist ja schon da, dann könnten Sie auch eigentlich noch das Buch dazu schreiben.“ Da ist zusammengewachsen, was zusammengehört.

Wer sind eigentlich die Herren Dirk Krömer und Hermann Müller, mit deren „tatkräftiger Unterstützung“, wie es auf der ersten Buchseite heißt, Sie das Buch geschrieben haben?

Das sind zwei sehr nette Kollegen aus meiner Redaktion, mit denen ich das Werk in sechs rauschhaften Wochen aus der Taufe gehoben habe. Was uns ziemlichen Spaß gemacht hat. Ich hoffe, das merkt man dem Ergebnis an.

Die Herren sind nicht Ihre Ghostwriter?

Ghostwriter treten ja normalerweise nicht in Erscheinung. Die kriegen Geld dafür, dass sie sich diskret im Hintergrund halten und auf den Ruhm der Autorenschaft verzichten. Wohingegen meine geschätzten Kollegen Krömer und Müller jetzt weltberühmt werden.

Ist das Buch ein sinnvolles Buch?

Eine sehr philosophische Frage! Besteht nicht der Sinn des Lebens in der Suche nach dem Sinn des Lebens? Ich darf Ihnen also sagen, dass es uns ein durchaus ernstes Anliegen war, uns augenzwinkernd mit Politiker-Deutsch zu befassen. Wir wollen dem geschätzten Leser sagen: Leute, gebt euch nicht mit Sprüchen zufrieden. Schaut hinter die Wortfassaden eurer Volksvertreter. Keine plumpe Politikerschelte, sondern: Was sie sagen - und was sie damit meinen! Das Ergebnis liegt stilistisch irgendwo zwischen Heinz und Ludwig Erhard(t).

Warum reden Politiker in Sprüchen?

Weil sie unter Druck stehen. Weil sie gerne klug, schnell und möglichst genial antworten wollen, ohne es immer zu können. Deshalb greifen sie zu gerne zu fertigen Textbausteinen. Und haben dabei einen schwer erklärlichen Hang zu barocken Formulierungen. Das hat zur Folge, dass man sie stellenweise kaum noch versteht. Da kann ein bisschen Übersetzungshilfe doch nicht schaden. Und eine ziemlich große Zielgruppe haben wir auch: quasi jeden Wähler.

Sind wir Journalisten vor dem Spruch-Übel gefeit?

Das wär’ zu schön… Aber das sind wir natürlich nicht. Deshalb findet sich auch dazu ein Kapitel in dem Buch. Klar laufen wir Moderatoren Gefahr, sinnleere Floskeln zu verwenden. Das gilt auch für mich.

Haben Sie schon etwas erreicht im Kampf gegen die Phrase?

Ich würde sagen, die Schlacht ist noch nicht verloren. Es geht ja immer darum, die Damen und Herren Politiker mit präzisen Fragen bei der Stange zu halten. Politiker drücken sich gerne vage aus und versuchen so, unangenehme Wahrheiten zu umschiffen: Gift für mich und unsere Sendung. Da muss ich was gegen tun – bei Strafe des Unterganges.

Haben Sie es jemals geschafft, einen Politiker zu einer Wahrheit zu zwingen?

Ein Beispiel: Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat eingestehen müssen, dass die 1,5 Milliarden Euro aus der Tabaksteuerreform erst in ihren Etat hinein und dann von Peer Steinbrück wieder herausgerechnet wurden, damit der die Maastricht– Kriterien erfüllen kann. Die Ministerin musste bestätigen, da keine Sachpolitik, sondern Politik für den Finanzminister zu machen. Oder Michael Glos und sein Bekenntnis, dass die Große Koalition durchaus in der Lage ist, Humbug zu produzieren. Es ging in diesem Fall um das Gleichstellungsgesetz. Das sind vielleicht Bonsai-Erfolge. Aber mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.

Warum missfällt Ihnen die Moderatorenfrage „Was heißt das konkret?“

Weil man das immer fragen kann – ohne von einer Sache auch nur die geringste Ahnung zu haben.

Haben Sie bei Herrn Ackermann von der Deutschen Bank eine Wahrheit herausgebracht?

Wenn Herr Ackermann bei uns einräumt, dass er wahrscheinlich faule Kredite in Höhe von 28 Milliarden Euro im Portfolio hat, dann finde ich das ziemlich interessant. Die Börse übrigens auch.

Sie unterscheiden drei Typen von Politikern: die Schmerzfreien, die Filigrantechniker und die Exoten. Beispiele bitte!

Schmerzfrei sind in der Regel die parlamentarischen Geschäftsführer der Parteien, das ist Teil ihrer Arbeitsplatzbeschreibung. Die liefern zunächst ihre Keymessage ab, egal ob es blitzt oder donnert. Trickreicher arbeiten zum Beispiel Gregor Gysi, Guido Westerwelle, Herr Steinbrück, Herr Röttgen oder Frau Künast. Zu den Exoten, die die Fragen nicht nur richtig verstehen, sondern sich auch noch verständlich und zur Sache äußern, gehören irgendwann eigentlich alle mal. Man muss sie nur dazu bringen.

Wie lautet Ihre liebste Phrase?

„Das Kapital ist ein scheues Reh.“ Höre ich immer wieder gerne.

Wann stellen Sie endlich das Phrasenschwein auf, in das bei jeder Phrase ein Fünfer geworfen werden muss?

Klingeln würde es schon, aber dann könnte man uns vorwerfen, wir machen Schweinejournalismus.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

„Maybrit Illner“, 22 Uhr 30, ZDF

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