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Komisch, die Deutschen: gehen nackt in die Sauna aber verpixeln ihre Häuser. Jeff Jarvis hat eine andere Auffassung von Privatsphäre.

© dapd

Interview mit Jeff Jarvis: „Nackt sein? Was ist dabei?“

Nackte in der Sauna und verpixelte Häuser: Für den US-Internet-Guru Jeff Jarvis ist Deutschland voller Widersprüche. Im Interview erklärt er, was an die Öffentlichkeit gehört und was nicht.

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Herr Jarvis, im vergangenen Jahr haben Sie auf einer Konferenz in Berlin über „das deutsche Paradox“ gesprochen, über die Sorge der Deutschen um die Privatsphäre auf der einen Seite und die vergleichsweise offene Körperkultur andererseits. Dann haben Sie das Publikum in die Sauna eingeladen. Ist jemand gekommen?

Ja, drei Typen kamen. Wir haben uns gut unterhalten, zwei haben darüber gebloggt.

Sie haben sich nicht merkwürdig gefühlt?

Nein, obwohl wir Amerikaner ja geradezu lächerlich prüde sind.

Wie gehen denn Amerikaner in die Sauna?

Eingewickelt wie Würstchen. Hermetisch versiegelt. Die Deutschen haben ein viel reiferes Verhältnis zu ihrem Körper.

Ihr Thema sind die neuen Formen von Öffentlichkeit im Internet. Hinkt nicht der Vergleich zwischen Facebook und einer Sauna?

Ich gebe zu, das mit der Sauna war ein billiger Witz. Aber ich habe dadurch etwas gelernt: Für den unterschiedlichen Umgang mit Öffentlichkeit gibt es auch kulturelle Gründe. Seither frage ich mich, ob wir nicht gerade das Entstehen einer eigenen Internetkultur von Öffentlichkeit erleben.

Internet-Guru Jeff Jarvis.
Internet-Guru Jeff Jarvis.

© dpa

In Ihrem neuen Buch „Public Parts“ haben Sie den Deutschen gleich ein ganzes Kapitel gewidmet.

Die Reaktion darauf, wie das Internet die Privatsphäre in Frage stellt, ist in Deutschland viel heftiger als fast überall sonst. In einer Zeit, in der ganze Wirtschaftszweige auf Öffentlichkeit beruhen, frage ich mich, ob die deutsche Psyche dafür bereit ist und ob das Auswirkungen darauf haben wird, wo Deutschland in der zukünftigen digitalen Ökonomie steht. Wir müssen die Öffentlichkeit in Deutschland schützen.

Wie kommen Sie darauf?

Die Debatte um Google Street View hat mir Sorge bereitet. Die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hat die deutschen Bürger gedrängt, Google mit Petitionen dazu zu bewegen, keine Fotos von Häusern mehr zu machen. Was, wenn dieser Druck auch auf Journalisten ausgeübt würde? Oder nehmen wir an, ich bin Maler und male ein Bild von einem hübschen Haus, brauche ich dafür eine Erlaubnis? Und von wem? Vom Besitzer, vom Architekten?

Den Deutschen ging es weniger darum, ihr Haus nicht im Netz zu sehen. Viele wollten vor allem gefragt werden.

Aber die Häuser waren ja schon öffentlich! Wir müssen uns an Prinzipien halten. Was öffentlich ist, muss öffentlich bleiben.

Google und Facebook verwenden auch Daten, die privat sind, Daten, die wir in ihre sozialen Netzwerke einspeisen.

In der analogen Welt sind wir sehr sensibel dafür, wie öffentlich welche Informationen sind. Wenn Sie, Anna, und ich uns auf dem Flur unterhalten und Sie, Sylvia, kommen hinzu und Anna wechselt das Thema, verstehe ich, dass das kein gutes Thema für Sylvia ist und werde nicht darauf bestehen. Jetzt müssen wir herausfinden, wie wir diese Mechanismen online umsetzen. Ich sehe Datenschutz als Ethik: Die Ethik, zu wissen, wie ich mit der Information von jemand anderem umgehe. Muss Facebook sich an diese Ethik halten? Auf jeden Fall.

Was ist denn aus Ihrer Sicht der Vorteil, wenn wir alle öffentlicher sind?

Wir hätten eine unglaublich große Datenmenge, die wir analysieren könnten. Wenn man zum Beispiel feststellt, dass alle Frauen in einer Nachbarschaft an Brustkrebs erkranken, könnte man untersuchen, ob etwas mit dem Leitungswasser nicht stimmt. Wenn Sie es öffentlich machen, dass Sie ein Problem haben, können Sie Leute finden, die Sie unterstützen und Sie können sich gegenseitig helfen.

Seite 2: Was meint Jeff Jarvis' Frau zu seiner Öffentlichkeit.

In Ihrem Buch deuten Sie eine Art ethische Verpflichtung zur Öffentlichkeit an.
Ich möchte es so formulieren: Etwas öffentlich zu machen kann als soziale Handlung angesehen werden, während das Geheimhalten als egoistisch angesehen werden könnte. Im Moment ist das noch nicht so. Bei Krankheiten zum Beispiel muss man in den USA befürchten, seine Versicherung zu verlieren oder stigmatisiert zu werden. Ich stelle mir das in Zukunft aber so vor wie bei den Deutschen mit ihrer Freikörperkultur. Die sagen: „Ja, ich habe einen Körper wie jeder andere auch, was ist schon dabei, ihn nackt zu zeigen?“ Wir sollten auch eine Freigesundheitskultur haben.

Sie selbst sind sehr öffentlich. Sie sind 2009 an Prostatakrebs erkrankt und haben darüber gebloggt. Wie geht es Ihnen heute?

Mir geht es gut. Als die Ärzte damals den Krebs diagnostizierten, sagten sie, wenn schon Prostatakrebs, dann diese Sorte. Ich hatte ziemlich Glück.

Wir freuen uns, das zu hören.

Danke.

Sind Sie Demokrat oder Republikaner?

Ich bin Demokrat. Ich habe Hillary Clinton gewählt und dann Barack Obama.

Und was verdienen Sie?

Ich experimentiere mit meinem Leben, aber ich mache nicht alles öffentlich. Als Universitätsprofessor ist mein Grundgehalt öffentlich. Das sind, glaube ich, so ungefähr 90.000 Dollar im Jahr.

Stehen Sie bei Facebook auf der Gehaltsliste? Das Unternehmen kommt in Ihrem Buch ziemlich oft vor ...

Nein, oh Gott. Nein. Aber die haben mir mal T-Shirts für meine Kinder geschickt.

Wenn Sie nichts zu verbergen haben, warum sprechen Sie nicht über Ihr Gehalt?

In den USA ist es das unüblich, es wird als Angeberei verstanden. Man nimmt eben doch die Färbung seiner Umwelt an. Und mir ist unwohl dabei, meine Familie zu mir ins Glashaus zu holen, mein Einkommen ist ja auch das Einkommen meiner Frau.

Was meint Ihre Frau überhaupt dazu, dass Sie so eine öffentliche Person sind?

Sie ist nicht öffentlich, aber akzeptiert, dass ich es bin.

Welche Vorteile haben Sie durch Ihr Öffentlich-Sein?

Ich bekam Feedback und Hilfe. Ich schließe Freundschaften. Manchmal sind es einfach nur Freundschaften, manchmal helfen sie mir beim Kampf gegen den Krebs, mal beim Entwickeln von Ideen.

Sie sind eigentlich immer online. Haben Sie nie mal Lust auf eine Pause?

Es gibt aber Wochenenden, da bin ich nicht auf Twitter, ob Sie es glauben oder nicht. Aber erinnern wir uns doch mal daran, worum es dabei geht: Es ist sozial, es geht darum, sich mit anderen Menschen zu unterhalten. Wenn ich in einer stillen, einsamen Nacht auf einer Geschäftsreise in einem Hotelzimmer sitze, es ist spät, meine Frau schläft, dann gehe ich auf Twitter und da ist eine ganze Welt voller Freunde.

Sie fordern auch von Staaten und Unternehmen mehr Transparenz. Sie schreiben etwa, Wikileaks habe gezeigt, wie banal staatliche Geheimnisse seien. Was ist trivial daran, den Namen eines gefährdeten Informanten geheim zu halten?

Natürlich nichts. Aber viele andere Geheimnisse waren tatsächlich banal. Transparenz und offene Zugänglichkeit zu Informationen sollten der Normalfall sein, Geheimnisse sollte es nur geben, wenn dafür eine Notwendigkeit besteht. Das hat Wikileaks in Erinnerung gerufen.

Wir nennen Ihnen einmal ein paar Beispiele, und Sie sagen uns, was davon öffentlich gemacht werden soll: In Berlin hatten wir gerade Koalitionsverhandlungen. Hätten die per Live-Stream übertragen werden sollen?

Ich glaube, dass prinzipiell mehr Diskussionen öffentlich sein sollten. In den USA tagte gerade das „Super Committee“, das über Haushaltskürzungen entscheiden sollte. Dabei geht es um unser Geld, das geht uns alle an. Man kann einwenden, dass die Fernsehkameras den Kongress zu einer Showbühne gemacht haben. Aber das Problem geht auf die Kongresspolitiker und ihre Haltung zurück.

Was ist mit Wahlen, sollte es öffentlich gemacht werden, wen wir gewählt haben?

Nein, dabei geht es um den Einzelnen. Wenn man es sagen will, soll man es aber dürfen. Man kann dadurch andere Menschen mit den gleichen Ansichten finden und eine Bewegung initiieren.

Wie sieht es mit den persönlichen Ausgaben eines Politikers aus?

Es kommt darauf an, wie relevant es ist. Nehmen wir mal an, der Politiker kauft ein Geschenk ...

... für seine Geliebte?

Darf ein Politiker kein Sexleben haben? Relevant ist das nur, wenn er gleichzeitig einen Kontrahenten beschuldigt, eine Affäre zu haben, wenn er ein Heuchler ist. Es gibt keine festgezurrten Regeln. Politiker sollten ein moralisches Bewusstsein dafür entwickeln, was sie ihren Wählern schulden. Das heißt nicht, dass sie verraten müssen, welche Biermarke sie bevorzugen.

Was meinen Sie, werden die Skeptiker oder die Euphoriker gewinnen?

Wir stehen am Anfang von etwas Neuem, die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, müssen wir verteidigen. Das Prinzip der Öffentlichkeit folgt einer Ethik des Teilens und Verbreitens. Privatsphäre folgt einer Ethik des exklusiven Wissens.

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