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Interview: „Wer sagt, dass das Kluge hässlich sein muss?“

Fünf Jahre „Cicero“: Gespräch mit Chefredakteur Wolfram Weimer über Erfolg mit Qualität, feine Geister und elitäre Angeber

Herr Weimer, Ihrer aktuellen Pressemitteilung entnehmen wir, dass es Ihrem Magazin blendend geht. Aber die teure Kunst im Redaktionsflur ist abgehängt. Erste Notverkäufe?

Das waren Leihgaben unseres Verlegers, die gerade ausgetauscht werden. Aber keine Sorge, es sind schon neue, feine Kunstwerke aus der Schweiz unterwegs.

„80 588 verkaufte Exemplare, Tendenz steigend, 32,8 Prozent Anzeigenzuwachs im Vergleich zum Vorjahr“, heißt es da zum fünften Geburtstag. Woran hat’s gelegen?

Wir haben vieles, wenn nicht alles, anders gemacht, als uns Medienmanager geraten haben. Die Ratschläge lauteten: Boulevard, Nutzwert, Lifestyle – und das bitte billig. Oder am besten gleich ein Gratismagazin. Wir haben das genaue Gegenteil gemacht. Salon statt Boulevard, Denkwert statt Nutzwert und Qualität statt Billigheimertum. Ich glaube, dass in Umbruch- und Krisenzeiten der gute alte Qualitätsjournalismus besonders gefragt ist.

Wenn sieben Euro Verkaufspreis ein Ausweis von Qualität sind, dann sollten Sie zehn Euro verlangen. Das wäre dann noch mehr Qualität.

Qualität hat ihren Preis. Ein „Cicero“ kostet so viel wie ein Eisbecher im Straßencafé. Nur dass man viel länger etwas davon hat. Preise sind immer auch kulturelle Signale: Anspruchsvoller Journalismus ist im doppelten Wortsinne „wertvoll“. Bei uns schreiben preisgekrönte Autoren, veröffentlichen preisgekrönte Fotografen, arbeiten preisgekrönte Grafiker – sie alle haben ihren Preis.

Und dann kam auch noch Glück dazu.

Haufenweise sogar. Am Anfang bekamen wir zwar sehr schöne Kritiken, aber meistens waren sie verbunden mit verheerenden Überlebensprognosen. Niemand hat geglaubt, dass „Cicero“ auch nur ein Jahr überstehen würde. Deshalb macht der Überraschungserfolg, den wir jetzt haben, auch besonders viel Spaß.

Sie sind die Antithese zur gegenwärtigen Printkrise.

Wir machen zumindest etwas radikal Unmodisches. Denn in den großen Verlagshäusern wird nicht mehr wirklich an die Magie und die Vermarktbarkeit von Qualitätsjournalismus geglaubt. Überall schlachten sie Redaktionen, schließen Zeitschriften, reißen Korrespondentennetze ein, zwingen Feuilletons in Lifestyle-Kleidchen. Man setzt schneidig auf „content providing“, anstatt seriösen Journalismus zu pflegen. Die Verlage treiben allen möglichen Unfug, aber sie investieren nicht mehr in ihr Kerngeschäft. Es wäre aber klug, in das zu investieren, was sie groß, reich und mächtig gemacht hat: Journalismus.

Aber Sie haben alles richtig gemacht. Gab es nie Zweifel am Konzept?

Doch, natürlich. In den ersten Quartalen nagt der Selbstzweifel permanent. Vor allem, wenn alle anderen sagen, das kann nicht gut gehen. „Cicero“ war ein Kind der New-Economy-Krise. Vielleicht können wir deshalb mit der aktuellen Krise besser umgehen als andere. Wir haben gelernt, dass man gerade in der Krise neue Wege beschreiten kann, also haben wir auch diesmal ein neues Produkt, „Cicero Portfolio“, auf den Markt gebracht. Und das läuft immerhin so gut, dass wir schon mit der ersten Ausgabe Geld verdienen.

Sind Sie völlig unbeleckt von der aktuellen Krise?

Unsere Leserschaft wächst in der Krise, vielleicht sogar wegen der Krise, weil die Menschen in wilden Zeiten solide Orientierung besonders schätzen. Aber bei den Anzeigen spüren auch wir jetzt den Gegenwind, wenn auch nicht so heftig wie andere.

Sie feiern sich selbst als „Referenzmedium der Berliner Republik“ und als das „größte Intellektuellenmagazin Deutschlands“. Haben Sie’s nicht auch ein bisschen kleiner?

Es gibt außer „Cicero“ kein politisches Magazin aus Berlin für Deutschland. Wir sind nun mal die Einzigen.

Man könnte auch sagen, Sie sind das Beste, weil Sie das Einzige sind.

Ich würde mich freuen, wenn endlich auch andere Verlage mal was Besonderes wagten. Eine neue, große Illustrierte aus Berlin, das wär’ doch was. Oder ein modernes Satiremagazin. Warum kommt da nichts? Muss man wirklich nur immer neue Frauen- und TV-Magazine herausbringen?

Vielleicht will der Leser das ja so. Was wissen Sie von Ihren Lesern?

Dass sie zu zwei Dritteln männlich sind, hochgebildet, gut verdienend, Vielreisende, Durchschnittsalter 44. Und dass wir eher in den Städten gelesen werden als auf dem Land. Unsere Abonnenten sind uns sehr treu. Das tut gut, besonders in Zeiten der Krise.

Was können Ihre Leser vom Monatsmagazin erwarten?

Das Besondere, das sie woanders nicht (mehr) finden. Überraschende Analysen und offensives Querdenkertum zum Beispiel. Die Krise treibt zu vieles in die Defensive – auch den Printjournalismus. Viele Journalisten wagen nicht mehr zu träumen. Da ist viel zu viel erloschene Leidenschaft. Aber wie wollen wir denn Leser gewinnen, wenn wir selbst nicht brennen?

Wo steckt in Ihrem Magazin die Leidenschaft?

In jeder Facette. Das fängt schon beim Titelblatt an. Wir lassen Personen der aktuellen Zeitgeschichte von Künstlern malen – wo sonst finden Sie das? Wir schicken Reporter zu Fuß nach Jerusalem, wir schleusen Schriftsteller ins Kanzleramt, wir sprechen mit Philosophen über die Hölle – und zwar leidenschaftlich.

Die Hölle, aber schön verpackt. Das Böse, aber bitte gut aussehend. Ist das Ihr Betriebsgeheimnis?

Darf nicht das Schöne den Sieg über das Ungeheure davontragen? Der Kampf ums beste Bild, das Ringen um ein schönes Layout beschäftigt uns natürlich. Wenn am Ende der Eindruck des Edlen und Feinen entsteht, dann haben wir nichts dagegen. Wer sagt denn, dass das Kluge hässlich sein muss?

„Cicero“: ein glattes Heft für eine geglättete Republik.

Glatt falsch! „Cicero“ möchte nur ohne Häme auskommen, Respekt und Fairness widersprechen, aber Profil und Provokation nicht.

Aber eine schöne Provokation, die sich gut auf den Coffeetables unserer Republik machen muss.

Ich war vor kurzem bei einem sehr bekannten Politiker zu Gast, der mir sagte, er habe das Heft zwar nicht gelesen, aber es komme zurzeit ganz gut, wenn man es dabei habe. Studenten tragen „Cicero“ gerne unterm Arm, Cabriofahrer lassen es demonstrativ auf dem Beifahrersitz liegen. Sagen Sie mir, was wir dagegen haben sollten.

Freiheit ohne Sozialismus, ein Splitter Religion, ein Quantum Bildung, ein Schuss „Bunte“, gute Manieren und, ganz wichtig, Englisch fließend – das ist der Standpunkt von „Cicero“. Sollten wir etwas übersehen haben?

Ich habe nichts gegen diese Splitter, solange es noch einen Balken gibt. Unser Balken ist die offene Debatte mit guten Argumenten. Uns ist weniger wichtig, wo einer herkommt, als wo er hindenkt. Wir wollen die interessantesten Köpfe des Landes spannend zu Wort kommen lassen.

Mit einem Wort: „Cicero“, das Heft von Angebern für Angeber.

Was meinen Sie denn damit?

Den elitären Gestus Ihres Magazins, der dabei leicht angestrengt wirkt.

Wenn anspruchsvolle Texte, große Autoren, intellektuelle Reflexion und wertvolle Gestaltung, meinetwegen auch das Bildungsbürgerhafte politischer Kultur, wenn all das elitär ist, bekenne ich mich gerne zum Elitären.

In Ihrem aktuellen Editorial behaupten Sie mit Aplomb, das ironische Zeitalter gehe zu Ende. Das meinen Sie doch ironisch, oder?

Eben nicht. Nach dem Fall der Mauer und dem Ende des ideologischen Zeitalters haben wir eine Welle des freiheitlichen Überschwangs erlebt. Das führte dazu, dass nichts mehr wirklich ernst genommen wurde und die Ironie triumphierte. Alle geistigen Kategorien wurden Teil eines intellektuellen Spiels mit Anti-Ismen. Aber dieses Spiel geht langsam zu Ende. Die ironische Nische der Geschichte von 1989 bis 2009 schließt sich.

Hören wir da einen Cicerone des erhobenen Zeigefingers?

Was ist eine Gesellschaft, in der es keine Zeigefinger mehr gibt? Eine Gesellschaft geballter Fäuste oder winkender Flachhand-Teletubbies. Die richtungslose Spaßgesellschaft hat sich erledigt. Jetzt kommt etwas Neues. Was genau, das weiß ich auch nicht. Aber ich begebe mich schon mal auf die Suche nach Fingerzeigen. Ich bin eben Journalist.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

Wolfram Weimer, 44, ist Herausgeber und Chefredakteur von

„Cicero“. Vorher

arbeitete er für den Axel-Springer-Verlag, zuletzt als Chefredakteur von „Welt“ und „Berliner Morgenpost“

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