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Medien: Jeder schummelt sich so durch

Die Story ist nicht spektakulär, spektakulär ist der Film in der ARD: „Familienkreise“ mit Götz George und Jutta Lampe

Was ist eigentlich ein Klischee? Ein Druckstock, ein Stereotyp. Man kann viele Abzüge davon machen. Die Kerls und die Mädels, die uns in der Fernsehfiktion begegnen, sind gewöhnlich solche Abziehbilder. Die Fernsehkritik gesteht dem vielbeschäftigten Massenmedium sogar ein gewisses Recht auf Klischees zu. Hauptsache, es wird an den Rändern hier und da ein bisschen was verändert, das reicht schon. Schließlich kann man nicht jeden Abend die Spezies Mensch und ihr Verhalten neu erfinden.

Oder doch? Jeden Abend nicht, aber alle Jubeljahre, als Ausnahme und Glücksfall, gibt es einen Film, der braucht einfach keine Klischees. Beim Zuschauen bemerkt man entzückt die Abwesenheit (und die Überlebtheit!) gewohnter Muster und starrt schon deswegen wie unter Hypnose auf den Schirm. Was geht da vor sich? Ist es – das Leben? Oder gar die Kunst? Der Film „Familienkreise" (Buch: Daniel Nocke; Regie: Stefan Krohmer) mit Götz George, Jutta Lampe und Hans-Jochen Wagner in den Hauptrollen ist so ein Wunderwerk: Hier wird eine Geschichte auf radikal neue und bestürzend eindringliche Weise erzählt. Wie alle guten Ideen ist auch die Dramaturgie der „Familienkreise" im Grunde einfach. Jeder weiß, dass uns das Leben dazu zwingt, mehrgleisig durch unsere Tage zu reisen. Was wir denken und was wir sagen, ist zweierlei, was wir wollen und was wir tun auch, und so ergibt sich als Normalfall eine Doppeloptik oder gar Mehrfachperspektive, unter der wir die Ernte unserer Tage bewerten: Jeder schummelt sich so durch. Wie weit er dabei geht, wie stark er Schein und Sein, Vorwand und Absicht, Wunsch und Tat auseinander klaffen lässt, ob er sich selbst betrügt oder nur den Nächsten und ob er es schafft, das Gesicht zu wahren, das muss jeder mit sich ausmachen. Manchmal findet man jemand, dem man sich anvertrauen und mit dem man sich austauschen kann über das Leben als Manöver. Und manchmal sieht man einen Film, der es so zeigt.

Der Film „Familienkreise" hat die Kamera, den Dialog und den Schnitt auf jene Grauzone hin orientiert, in der sich die Doppeloptik abspielt, in der sich herausstellt, dass jedes gesprochene Wort einen zweiten Sinn hat, der aus der Vergangenheit herrührt oder aus den Wünschen für die Zukunft. Jede Geste, jeder Schritt und jeder Blick ist mehrdeutig eingesetzt und kann doch verstanden werden, ohne dass das Bewusstsein dabei immer beteiligt sein muss. Das Wunder: Der psychologische Feinschliff, der diesen Film auszeichnet, fordert dem Zuschauer keine übertriebene Anstrengung ab. Er präsentiert sich glänzend, schlicht und überzeugend. Der Film ist superspannend, obgleich so ausgebufft.

Die Story trumpft nicht groß auf. Ein Vater, prominenter Auslandskorrespondent, kehrt heim zu Frau und Söhnen und stiftet Verwirrung. Die erwachsenen Jungs wollen sich von dem dominanten Herrn nichts mehr sagen lassen, die Mutter geht längst eigene Wege. Der Reiz des Films liegt ganz in der minutiösen und geduldigen Analyse des Verhaltens seiner Figuren, in der Konsequenz, mit der dieses Verhalten als typisch für gerade diese Eltern und Söhne (und Schwiegertöchter) verhandelt wird. Dabei sollte man die Familie als dramatischen Schauplatz hier nicht überbewerten. Die subtilen Mittel des Films würden in einer anderen sozialen Szenerie, zum Beispiel in einem Kollegen- oder Freundeskreis, genauso funktionieren.

Einen blöden Fehler allerdings ließen sich die Macher selbst durchgehen. Sie haben eine Off-Stimme hinzugedichtet, vorgeblich die des Architekten, der einst das Familienhaus erbaute. Dessen mokanter Kommentar mischt sich immer wieder ein, um die Figuren zu belehren und runterzumachen – wahrscheinlich sollte der rotzige Ton die Nähe zerstören, die der Zuschauer ihrer starken Glaubwürdigkeit wegen zu den Personen herstellt. Das war unnötig. Man genießt diese Nähe – ehrlich. Und wünscht den Off-Fuzzi zum Teufel. Er ist – als zynischer Alleswisser – das einzige Klischee in dem Film.

„Familienkreise“: ARD, 20 Uhr 15

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