zum Hauptinhalt

Medien: „Jetzt laufen die Geher wieder ins Stadion“

Mehr als Bronze verdient die Fernsehübertragung von der Leichtathletik-WM in Helsinki nicht

„…dann feiert mal schön!“ Diese dümmste aller Sportreporterformulierungen wird zwar in Helsinki bei den derzeit laufenden Leichtathletikweltmeisterschaften nicht allzu oft gebraucht werden, aber sie ist wie immer beim Streit um Gold, Silber und Bronze dabei. Egal, ob Olympia, Tour de France oder Bundesliga. Dass nun erst zwei-, dreimal in den meist nur mäßig gefüllten Wortschatzköcher gegriffen wurde, liegt nicht an den TV-Mikrofonstartern. Da sollte mit den Leichtathletik-Verbandsfunktionären gestritten werden.

Doch gerade diesem Disput gehen Moderatoren und Reporter beflissentlich aus dem Weg. Wahrscheinlich herrscht vereinbarter Waffenstillstand, aber man will erst abwarten, wie dann die Schlussbilanz ausfällt. Anders lässt es sich kaum erklären, wie gestandene Fachjournalisten auf einen 17. Rang im 10000-Meter-Lauf reagieren. „Na ja, sie läuft eben wie du und ich. Sie ist eine liebe, ganz normale…“

Ich kann mich solchem Weltmeisterschaftsanspruch nicht anschließen. Wenn die WM der Ursportarten tatsächlich nach Olympischen Spielen und Fußballweltmeisterschaft das drittgrößte aller Sportereignisse sein soll, dann gelten auch solche Maximen. ARD und ZDF haben das schließlich noch vorm ersten Startschuss unterstrichen. 200 (!) Mitarbeiter durften trotz klammer Kassen nach Finnland reisen. Zu den 100 Kameras, die der Gastgeber einsetzt, aktiviert das deutsche TV-Superteam noch acht eigene. Mithin ist uns offensichtlich der millionenfache Wunsch erfüllt: Jajaja, wir wollen auch die Tränen von Kugelstoßer Bartels per Großaufnahme kullern sehen …

Leider. Es funktioniert alter Unsinn. Das und die meist unergiebigen und lästigen Interviewschnellschüsse in der so genannten Mixzone sowie stundenlanges Dialogisieren an den Kommentatormikrofonen. Es ist eine neuzeitliche Mode, heißt es, und die Zuschauer wollen es so. Aufteilung der Arbeit – der macht das, der andere das und jeder darf mal schweigen – ist verpönt. So sind das für willige Konsumenten-Rezipienten die Haupthindernisse. Zu lange Sendestrecken und zu viel Palaver. Weniger wäre mehr.

Doch darüber können die Programmverantwortlichen nur milde lächeln. Doch dauerhaft auch darüber, dass kaum ein Reporter in der Lage ist, solchen Rede-Marathon durchzustehen? Poschmann/Leissl, das ZDF-Duo, versucht es gut mit souveräner und meist normaler Lockerheit im fröhlich-freundlichen Ton, mit fachlichem Wissen sowieso. Beim ARD-Doppel Rubenbauer/Scholt klingt deutlich Monotones durch, auch kann Scholt, verständlich wohl, noch nicht an die Fachkompetenz des ehemaligen Rubenbauer-Partners Dieter Adler heranreichen. Und wer einen dritten Platz im Kugelstoßen als „sensationell“ verkündet, beweist doch nur, dass in seiner Wortschatzkammer noch keine Ordnung herrscht.

Was Namen, Zahlen, Vergleiche, Einschätzungen betrifft, brauchen sich Thiele/Heinrich, die Eurosportmänner von der privaten Konkurrenz, nicht zu verstecken. Da und dort sogar: im Gegenteil. Bei der „Pflege“ des Thekendialogstils allerdings übertreiben sie immer wieder, was leider dem richtig Geäußerten die Wirkung raubt.

Überhaupt, es bleibt eine generelle Schwäche: stimmliches Vermögen, sprecherisches Können, beides neben der notwendigen Fachlichkeit Hauptvoraussetzung für den Erfolg, sind unterentwickelt und „sensationellerweise“ kaum gefragt. Doch für diese Auseinandersetzung gehören Intendanten, Chefredakteure und besonders Nachwuchsausbilder in den Ring.

Aber, vielleicht hören wir bis Sonntag doch noch Goldenes, Silberklassiges, Gutes aus Helsinki. Bronze war ja schon vorhanden. Also, bis die „Geher wieder ins Stadion laufen…“ – und keine roten Karten.

Der Autor ist Journalist, Buchautor, Moderator und Schauspieler. Einen Namen hat er sich besonders als Sportreporter für das DDR-Fernsehen gemacht. Oertel berichtete 17 Mal von Olympischen Spielen.

Heinz Florian Oertel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false