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Medien: Journalisten, könnt ihr rechnen?

Ein Reportage-Kurs mit John Ullmann und Excel

Im Grunde sind Journalisten Handwerker: Gespräch mit einem Informanten, Anruf beim Kontrahenten zwecks Stellungnahme plus ein paar herbeigegoogelte Zahlen – fertig ist die grundsolide, täglich hundertfach servierte Geschichte.

Dass es gern ein wenig mehr sein darf und sollte, predigt John Ullmann, Direktor des World Press Institutes in Minnesota, USA, auf der ganzen Welt. „Recording is not reporting“, heißt seine Botschaft. In den vergangenen Tagen war er auf Initiative des Tagesspiegels an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) zu Gast, um deutschen und polnischen Journalisten zu zeigen, was die Werkzeugkiste noch hergeben könnte: Nicht die Zahl sei die Nachricht, sondern ihre Bedeutung. Die „Wie weit kommt man mit Hartz IV“-Reportagen stehen beispielhaft dafür. Dazu passt auch Ullmanns Slogan „Hingehen, wo das Wissen ist“ – und wenn’s der Knastbesuch beim Betrüger ist, der eine kriminelle Masche erklärt. Ullmann stellt gern große Fragen, wie die nach dem einst verurteilten Mörder, der jetzt unter neuem Namen ein neues Leben beginnt: Soll er enttarnt werden?, fragt Ullmann – und knurrt, wenn Europäer mit Verweis auf den Resozialisierungsgedanken verneinen. In Amerika, wo die Adresse von einstigen Kinderschändern ebenso legal zu bekommen ist wie der Terminkalender des Bürgermeisters, geht eben mehr. Da wird die Werkzeugbox zum Zauberkasten – mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Eher fürs Praktische ist Ullmanns Kollegin Mary Jo Webster zuständig, die Reportern beibringt, was für Sekretärinnen selbstverständlich ist: den Umgang mit Microsoft Excel. Wer Tabellenkalkulation beherrscht, kann schläfrige Statistikämter überholen, Zitate („die Jugendgewalt steigt“) durch Zahlen (welche Straftaten, welche Altersgruppen?) untermauern oder widerlegen und Trends erkennen, die die Konkurrenz noch nicht bemerkt hat. In Amerika ist diese Arbeitsweise weit verbreitet. Geschichten wie die, welche Branche wie viel für welchen Politiker spendet, sind spektakulär. Wenn alle Journalisten rechnen könnten, gäbe es mehr von diesen Storys. obs

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