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Frauen dürfen im Karnevals-TV auch mitmachen. Arme hochreißen, Beine schwingen, fest jubeln

© SWR/Volker Oehl

Karnevals-TV: Alaaf you oder Sendeverbot?

Joachim Huber sieht im Karnevals-TV ein Fenster zum Hinterhof der Gesellschaft. Auch dort muss Fernsehen hinschauen. Ein Kommentar

Am Aschermittwoch ist alles vorbei, jedenfalls das Karnevals-TV. Die Mehrheitsmeinung (?) sagt: Allerhöchste Zeit, dass dieses Grauen ein Ende hat. Was für eine Beleidigung für Geist und Geschmack, eine schlimme Stoffwechselstörung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Karnevals-TV ist ein Fenster zu jenem Hof, zu jenem Hinterhof, in dem die Phasenverschiebung zur modernen, zur gegenwärtigen Gesellschaft nicht stattgefunden hat. Das Frauenbild rekurriert aus den 50er Jahren, Karneval und Fasching sind fest in Männerhand, Frauen in den Bütten und Festkomitees nicht gesehen. Sie sind Zielopfer des Mario-Barth-Humors. Männer treten in Frauenkleidern auf und knicken – tä-tä-tä – programmgemäß auf ihren High Heels um. Die Frauen im Publikum rasen. Vegetarier, nehmen wir sie mal stellvertretend für die Minderheiten, bekommen ihr Fett weg.
Dieser Humor funktioniert, weil er Anforderungen und Herausforderungen im rückwärtsgewandten Gestus bewältigt. So viel Selbstvergewisserung, so ausreichend Sicherheit im Dasein gibt es in solcher Massierung nur im Karnevals-TV. Attacken auf die AfD, das darf nicht verschwiegen werden, gibt es auch. Sie sind ein Randphänomen und können in der Witzischkeit mit den Frauenzoten nicht mithalten.
Karnevals-TV funktioniert, bei seinen Fans ist es überaus positiv besetzt, die Quoten bestätigen das fortgesetzte Lustig-Fernsehen um 20 Uhr 15. Dieses Programm befriedigt ein Bedürfnis und es bestätigt sein Publikum in der Überzeugung, dass es dieses Bedürfnis haben und befriedigt bekommen darf. Millionen Karnevalisten können (nicht) irren.

Karnevalshasser am Rande des Nervenzusammenbruchs

Das regt auf: Die Karnevalshasser toben, sie sehen ihre Zwangsgebühren für ARD und ZDF auf das Schändlichste missbraucht. Haben sie bemerkt, dass die Programme von ARD und ZDF sehr viel mehr ihren Erwartungen folgen? Im Regelprogramm findet sich das Karnevals-TV nur in Spurenelementen. Das Lieblingsprogramm der Deutschen, der Krimi, möchte lieber einen Faschingsprinzen tot sehen oder einen Jecken als Mörder. Wenn es dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen um die Vollendung des Menschengeschlechts zu tun ist, muss, darf es dem Karnevals-TV nur ein schmales Zeitfenster öffnen.
Das Zeitfenster ins Hinterstübchen, zu den Hintergedanken, die im Sentiment und im Ressentiment nisten. Karnevals-TV ist ehrliches Fernsehen, vielleicht sogar authentisches. Es zeigt Mitmenschen, wie sie sind, nicht, wie sie nach Maßgabe der anderen, wahrscheinlich der mehreren sein sollen.
Also Fernsehen von unten, Anti-Establishment-Fernsehen? Das ist, recht eigentlich, der Grundgedanke von Karneval, eine Revolte auf Zeit, ein Verlachen der Mächtigen, Klein wird Gernegroß. Und am Aschermittwoch ist sowieso alles vorbei. Dann laufen wieder als Krimis verkleidete Problemfilme, Dokumentationen über Fehler und Fehlentwicklungen, rücken „Tagesthemen“ und „Heute-Journal“ die Weltbilder zurecht. Das Wahre, Schöne und das Gute, dieses Dreigestirn, es lebe hoch.
Karnevals-TV steht dem diametral entgegen. Zugleich ist es ein Seismograf dafür, wo Gesellschaft, jedenfalls Teile davon stehen. Nicht gut, nicht schön – aber wahr.

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