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Medien: Klampfe statt Klamauk

Stefan Raab soll endlich erwachsen werden und Musikshows moderieren – als ein neuer Harald Juhnke

Die King-of-Pop-Rolle hat er schon drauf. Am Tag nach Michael Jacksons Freispruch betrat Stefan Raab sein „TV total“-Studio in Begleitung von vier farbigen Bodyguards, von denen einer schützend einen Schirm über den Moderator hielt. Doch Raab parodiert nicht nur lässig die Allüren des Stars von der Neverland-Ranch – es gibt auch etwas, das ihn mit Jackson verbindet: Beide wollen einfach nicht erwachsen werden. Während der Amerikaner immer mehr in seine androgynen Traumwelten abdriftet, hat der deutsche Entertainer noch ein Ventil, um spätpubertären Überdruck abzulassen – seine infantilen Klamaukaktionen. Mal lässt er sich von Regina Halmich die Nase zertrümmern, mal ruft er zum Turmspringen. Heute spielen Stefan und seine Freunde Autoscooter mit echten Pkw: Live aus der Arena AufSchalke überträgt Raabs Haussender Pro 7 „Die große TV total Stock Car Crash Challenge“.

Schade, denn in dem 1966 geborenen Kölner steckt so viel mehr als der ewige Klassenclown der Spaßgesellschaft. Auch wenn er derzeit bessere Gag-Schreiber hat als Harald Schmidt, muss Raab aufpassen, dass die Ulkmasche nicht bald leer läuft. Im Marktsegment Teenie- Trash hat ihn Oliver Rent-a-Pocher sowieso längst beerbt. Wenn der rheinische Metzgergeselle Raab klug ist, wird er also endlich erwachsen. Und das geht nun einmal am besten mit Pop. Jeder, der etwas auf sich hält, lässt mit der Volljährigkeit die Idole seiner Schülerjahre hinter sich, reißt die alten Poster von den Wänden, wechselt den Radiosender, will was Reiferes auf die Ohren. Solange sich der Musikgeschmack weiterentwickelt, hält auch die geistige Horizonterweiterung an.

Stefan Raab zeigt sich in dieser Beziehung bisher janusköpfig, wenn nicht geradezu schizophren. Er verehrt offen Rudi Carrell und James Last, aber er hat auch all die Großen bei sich zu Gast: Marilyn Manson und die Toten Hosen, Eminem, Joe Cocker, R.E.M. und Kylie Minogue, Billy Idol, Oasis, U2. Im Gegensatz zu den allermeisten Moderatoren kann er mit ihnen auf Augenhöhe über Musik reden. Wenn Raab zur Ukulele greift, spürt man sofort seine natürliche Musikalität. Er mag keine außergewöhnliche Stimme haben, aber er trifft jeden Tonfall, brilliert als stilistisches Chamäleon. Raab ist der Typ, bei dem sich die Stars des Entertainment-Business offensichtlich wohl fühlen. Auf dieser Fähigkeit sollte er seine Zukunft aufbauen: als Moderator von großen, abendfüllenden Musiksendungen.

Es geht weder um die nervigen Chart-Shows à la „Die 100 langweiligsten Balladen der Welt“ noch ums verbale Durchwinken von Videoclip-Hitparaden nach Art der Musiksender. Nein, Stefan Raab könnte in der deutschen Fernsehunterhaltung dort anknüpfen, wo Harald Juhnke aufgeben musste. Er könnte den Öffentlich-Rechtlichen zeigen, dass jenseits der Volksmusiksendungen Marktanteile zu holen sind. Am 31. Dezember wird Karl Moik nach 25 Jahren sein letztes „Musikantenstadl“ moderieren. Der rechte Zeitpunkt für Raab, seinem Lieblings-Feind zu zeigen, wie locker es bei einer Hitparade zugehen kann. In Wahrheit ist Raab nämlich gar kein Zyniker, sondern ein Charmeur, einer, der den Leuten gefallen möchte. Allerdings eher den Achtzehn- als den Achtzigjährigen. Dabei ist Raab auch schon 38 Jahre alt.

Musik lag bei Raab schon immer in der Luft. Zunächst sah es allerdings so aus, als wäre er die Wiedergeburt einer jener Zwanzigerjahre-Kabarettkomponisten, die zu jedem aktuellen Ereignis, jeder kuriosen Begebenheit mal eben schnell ein Couplet aus dem Ärmel schütteln können. „Börtie Börtie Vogts“ war im WM-Jahr 1994 Raabs erster Blödel-Hit, 1999 gab es Platin für den „Maschendrahtzaun“, 2000 folgte eine goldene Schallplatte für die Schröder-Nummer „Ho mir ma ne Flasche Bier“. Über den Grand Prix machte er sich mit dem „Piep, piep, piep“-Liedchen für Guildo Horn und als sein eigener Interpret mit „Wadde hadde dudde da“ lustig. Doch im vergangenen Jahr kam dann die Wende, Raab organisierte seinen eigenen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest, entdeckte als Antwort auf die Vollsynthetik-Superstars den unscheinbaren Max Mutzke, schrieb ihm mit „Can’t wait until tonight“ einen tollen Song, der immerhin auf Platz acht landete. Nach dem Gracia-Debakel beim diesjährigen Grand Prix forderte sogar der „Spiegel“: „Lasst Raab ran!“

Doch warum sollte der sich mit der Kärrnerarbeit für einen ergrauten Schlagerwettbewerb begnügen – wenn er auch die ganz großen Stars für wirklich internationale Pop-Gipfeltreffen bekommen kann. Denn das Netzwerk ist schon geknüpft. Schließlich schicken die Plattenfirmen ihre Top-Acts zwecks CD-Promotion nur allzu gerne ins „TV total“-Studio – und zwar für tatsächliche, echte Live-Auftritte. Klar, Pro 7 müsste einen guten Batzen Geld in die Hand nehmen und Raab sich endlich mal ein gut sitzendes Jackett kaufen, doch dann stünde einer zweiten Karriere nichts im Wege. Sicher, in der Opposition zu sein, hat Stefan Raab bisher mehr Spaß gemacht als Angela Merkel. Doch nicht nur für die CDU-Chefin, sondern auch für Raab scheint die Zeit reif, mehr Verantwortung zu übernehmen.

„Die große TV total Stock Car Crash Challenge“: Pro 7, 20 Uhr 15

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