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Medien: Kohlekumpel beim Kalbscarpaccio

Ein Themenabend auf Arte widmet sich dem Ruhrgebiet im Strukturwandel

Frauen auf’m Pütt, wo gibt’s denn so was! Frauen haben auf der Zeche nichts zu suchen, bringen nur Unglück, davon waren die Kumpel früher fest überzeugt. Aber früher war eben früher, da war Zollverein noch Zeche, eine der größten und modernsten ihrer Zeit, und kein Kulturdenkmal. Heute ist der Zollverein Weltkulturerbe, und da darf eine Frau wie Jutta Spranger-Novaczick, deren Vater und Schwiegervater, deren Großvater und Urgroßvater Bergleute waren, eben Besuchergruppen über das imposante Gelände führen und von früher erzählen.

Anhand von zwei (miteinander verwandten) Familien und drei Generationen erzählt Florian von Stetten vom Ruhrgebiet: Wie es ist, und wie es mal war. Er tut es mit Tempo und Witz, mit Sympathie, aber ohne Nostalgie. So wird das, was man so abstrakt „Strukturwandel“ nennt, plötzlich lebendig. Was für ein Kontrast zu dem Film über Krupp („Vom Mythos zum Global Player“), der den Arte-Themenabend übers Ruhrgebiet, zu dem auch der Visconti-Film „Die Verdammten“ gehört, am Sonntag ungerechterweise eröffnet – während „Glück auf – Drei Leben auf Zeche" erst gezeigt wird, wenn die meisten Zuschauer im Bett liegen: nach Mitternacht.

Sicher ist die Geschichte der Krupps, der Stahlschmiede, die von Kaisern, Diktatoren und Bundeskanzlern hofiert wurde, spannend. Aber die Filmemacher machen nichts daraus. Sie erzählen einfach chronologisch runter, unterlegen die Bilder mit ebenso vorhersehbarer wie bedeutungsschwangerer Musik und lassen über die Entwicklung der Nachkriegszeit dann nur die Top-Manager zu Wort kommen – und niemanden, der ihrer (Selbst-)Darstellung etwas entgegensetzen würde. Auch keinen, der einmal erzählt, was diese gewaltige Firma, bei der Zehntausende arbeiteten, für die Stadt Essen, für die Menschen dort bedeutet hat. Sicher ist Berthold Beitz ein äußerst spannender Mann, wie man gerade zu seinem 90. Geburtstag überall lesen konnte. Aber dann hätte man lieber ein Porträt nur über ihn gesehen.

Florian von Stetten dagegen macht sich nicht gemein mit einer Seite. Er zeigt, wie die verschiedenen Welten gerade auf dem Zollverein aufeinander prallen, hier die Kumpel, die im Casino fassungslos vor ihrem Kalbscarpaccio auf Rucola sitzen, dort die Touristen, auch die aus der eigenen Stadt, die die Zeche plötzlich schick finden. Der Filmemacher kommentiert das nicht, er komponiert Menschen und Bilder zu einem Chor mit vielen Stimmen. Wobei er die Musik intelligent und überraschend einzusetzen weiß. „Glück auf" schafft es, Klischees – wie das Bergmannslied „Glück auf“ – aufzugreifen, ohne sie platt zu treten. Also: Wenn Sie morgen früh aufstehen müssen – stellen Sie Ihren Videorekorder an.

Arte-Themenabend, „Das Ruhrgebiet – Eine deutsche Geschichte“: ab 20 Uhr 40.

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