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Gibt's das auch ohne Bla-Bla und Beleidigungen? Das Bild zeigt eine "BLA-BLA-Schreibmaschine" des Künstlers Willy Moese.

© p-a

Kommentarkultur im Netz: „Ich kriege davon schlechte Laune“

Ein Blogger hat genug: Markus Beckedahl über Beleidigungen, Verschwörungstheoretiker und Wege zu einer besseren Debattenkultur im Internet.

Ich habe keine Lust mehr. Ich habe keine Lust mehr auf diese Kommentarkultur. Gefühlt die Hälfte aller Kommentatoren können sich nicht im Ton beherrschen. Ständig macht irgendwer irgendwen wegen irgendwas blöd an – in der Regel mit Beleidigungen und/oder Unterstellungen, die gern auch mal falsche Tatsachenbehauptungen sind. Ich hab keine Lust mehr auf die vielen Verschwörungstheorien und schwarz-weißen Weltbilder, auf die ewige Debatte, wer wieso schuld an was ist. Die EU, die Politiker, der Staat, die Illuminaten, der Kapitalismus, die USA, die Gleichberechtigung und so weiter und so fort. Die Welt ist in der Regel etwas komplexer.

Ich hab keine Lust mehr, morgens aufzustehen und Kommentare zu lesen und abends schlafen zu gehen und vorher nochmal Kommentare zu lesen, weil ich einerseits rechtlich verantwortlich dafür bin und andererseits keine Lust auf gruppendynamische Prozesse habe, bei denen sich einige Verrückte gegenseitig in Rage kommentieren. Manchmal bis hin zur Morddrohung.

Es ist nicht mein Job, mir all das anzutun, aber ich mache es jetzt seit acht Jahren. Als ich mit meinem Blog Netzpolitik.org 2004 in der jetzigen Version startete, wollte ich Öffentlichkeit für Bürgerrechte im digitalen Raum herstellen und mein Wissen mit anderen teilen. Das Blog wurde zu einer Plattform, wo viele Informationen mit anderen Interessierten geteilt werden und viele Debatten stattgefunden haben. Von Anfang an war ich begeistert von der Möglichkeit, dass mir Leserinnen und Leser Feedback oder Kontra geben können, dass meine Artikel verbessert und ergänzt werden, dass sie weiterentwickelt werden. Ich habe in der Zeit rund 130 000 Kommentare gelesen. Im Rückblick muss ich leider

sagen: Meistens war das reine Zeitverschwendung. Weil die Kommentare mir, dem Artikel und der Diskussion keinen Mehrwert brachten. Weil sie immer öfter nur negative Stimmung machten. Ich kriege davon schlechte Laune. Jahrelang habe ich mich bemüht, auf (fast) jeden Kommentar einzugehen. Krude Theorien zu relativeren, auf jede Frage eine Antwort zu suchen, Beleidigungen zu gängeln, Ausfälle zu löschen. Ich war motiviert und ich war geduldig. Das hat sich geändert: Ich habe da echt keine Lust mehr drauf. Es kostet Zeit. Und es kostet Energie. Die ich lieber in sinnvolle Sachen stecken möchte.

Am Anfang saß ich nach jedem veröffentlichten Artikel vor dem Rechner und hoffte, dass jemand ihn kommentieren würde. Nachdem das Blog bekannter geworden war, dauerte es oft nur noch Sekunden bis zum ersten Beitrag. Oft haben sich die Kommentatoren ganz offensichtlich gar nicht mit dem Artikel auseinandergesetzt, sondern lediglich das geschrieben, was sie immer im Kopf haben und immer schreiben. Bei „Fritzdermeckerer“ zum Beispiel ist der Name Programm. Er ist auf meinem Blog erst ein Jahr dabei, hat aber schon hundert Kommentare geschrieben. Sie ähneln sich stark und passen eigentlich immer: „Ach Gottchen, das wundert mich doch. Dieses Dreckspack. Na ja, mal abwarten bis wir sie aus ihren Löchern holen ...“

Als unabhängiger Blogger steckt man in einem Dilemma. Kommt der Erfolg, kommen die Leserinnen und Leser und damit auch die Kommentatoren. Allerdings nimmt das Zeitbudget für deren Betreuung exponentiell zu. Man hat weniger Zeit für Recherche und zum Schreiben. Im Extremfall sinkt die Qualität. An manchen Tagen beschäftige ich mich insgesamt ein bis zwei Stunden nur damit, Kommentare zu überfliegen und darauf zu antworten. Medienhäuser reagieren auf die Flut der Kommentare mittlerweile mit „Community-Managern“. Die machen nichts anderes als Debatten zu moderieren. Dafür fehlt uns das Geld.

Eine echte Debatte entspinnt sich nicht nur deswegen immer seltener. Je mehr Kommentare wir bekamen, desto mehr nahmen destruktive Meinungsäußerungen überhand. Menschen, deren Kommentare ich schätze, wandern deshalb ab. Weil sie blöd angemacht werden. Weil alles so negativ ist. Weil die Diskussion hinter den Möglichkeiten zurückbleibt.

Ich hab das Gefühl, dass es nur ein Bruchteil der Leser ist, der für diese schlechte Stimmung verantwortlich ist. Vielleicht handelt es sich um 10 bis 30 Kommentatoren, die offensichtlich viel Zeit und zu jedem Thema etwas zu sagen haben. Auch wenn es in der Regel nichts mit dem Thema zu tun hat. Mit der Zeit weiß man ein bisschen was über sie. Auf Fotos haben sie eher graue Haare, viele von ihnen klingen frustriert. Wenn ich aber Beleidigungen einfach lösche, erhalte ich Kommentare, die mir Zensur vorwerfen. Informiert euch mal, was Zensur ist! Macht euer eigenes Blog auf und kommentiert da alles, was ihr wollt! Seid selbst für eure Beleidigungen rechtlich verantwortlich! Es ist nicht die Aufgabe meines Blogs, euch ein Ventil für eure schlechte Laune zu bieten! Man kann seine dunkle Seite auch auf anderen Seiten ausleben, die extra dafür gemacht sind.

Am liebsten würde ich die Kommentarfunktion einfach schließen. Aber das ist keine Lösung. Daher habe ich meine Leser gefragt, was sie empfehlen.

Grob gesagt gibt es verschiedene Möglichkeiten, die man kombinieren oder nacheinander ausprobieren kann: Erstens könnten wir radikal alles, was keinen Mehrwert bietet und destruktive Stimmung verbreitet, löschen – und damit sind nicht Kommentare gemeint, die nicht unserer Meinung entsprechen. Zweitens: Wir schalten in Zukunft alle Kommentare erst nach Sichtung frei. Das würde allerdings Debatten verhindern und den Aufwand erhöhen. Drittens: Dieser Appell kommt bei unseren Dauerkommentatoren an und sie versuchen in Zukunft, sich gemäßigter zu äußern. Viertens: Wir finden eine technische Lösung, die es den Leserinnen und Lesern ermöglicht, destruktive Beiträge zu erkennen und gemeinschaftlich zu verdunkeln oder ans Ende zu verschieben.

Die Diskussion darüber auf unserem Blog ist lebhaft. Mehr als vierhundert Kommentare später gibt es noch nicht die eine gute Lösung. Dafür eine offene und sehr spannende Debatte, wie wir die Kommentarkultur weiterentwickeln und verbessern wollen. Ein Anfang ist gemacht.

Markus Beckedahl betreibt seit 2004 das Blog „Netzpolitik.org“, eines der bekanntesten deutschen Blogs. Für den Tagesspiegel schreibt er Kolumnen. Er ist Mitgründer der „Digitalen Gesellschaft“, die sich für Freiheitsrechte im Internet einsetzt, und politischer Aktivist. Diesen Text hat er zuerst in dieser Woche auf seinem Blog veröffentlicht.

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