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Krimi: Eine Tochter macht Terror

Iris Berben und Katharina Schüttler liefern sich im Arte-Film „Es kommt der Tag“ ein Familienduell

Ohrfeigen haben für den französischen Film seit der Tragikomödie „Die Ohrfeige“ von 1974 mit Lino Ventura und Isabelle Adjani als dessen aufsässiger Tochter eine besondere Bedeutung. Die gepfefferte Backpfeife allerdings, die der elsässische Winzer Jean-Marc Muller (Jacques Frantz) in dem am Freitag von Arte ausgestrahlten Film „Es kommt der Tag“ seiner Tochter verpasst, ist keine Antwort auf die Flausen eines Teenagers, sondern Ausdruck purer Verzweiflung.

Bis zu dieser Begegnung wusste er nichts von Alice (Katharina Schüttler), der Tochter seiner deutschen Frau Judith (Iris Berben). Eines Nachts taucht die burschikose junge Frau in einem beschädigten Auto hilfesuchend bei Jean-Marc und Judith auf – und hat nichts weniger als die Zerstörung der Familie Muller im Sinn. Sie fühlt sich um ihre Kindheit betrogen. Ihre Mutter Jutta Beermann, die jetzt Judith Muller heißt, hatte sie in den frühen siebziger Jahren im Stich gelassen, um nach einem Schusswechsel bei einem Banküberfall in den Untergrund zu gehen. Als Erntehelferin lernte sie dreißig Kilometer westlich der deutschen Grenze ihren jetzigen Mann kennen.

Nun ist Alice, der die 31-jährige Katharina Schüttler eine ungeheure Intensität verleiht, auf dem Weg zu ihr. Einen Scheinwerfer ihres Wagens hat sie mit der beherzten Fahrt gegen einen Baum selbst zerstört, das Ende eines wilden Tages, der mit Sex im Auto begann. Kaum war der beteiligte Lover kurz ausgestiegen, fuhr Alice mit heulendem Motor davon. Später flirtet sie mit dem Halbwüchsigen Lucas (Sebastian Urzendowsky), nicht ahnend, dass es sich um ihren Halbbruder handelt. Angekommen, steht sie im dunklen Hof und blickt in die heimelig erleuchteten Fenster der neuen Familie ihrer Mutter. In der elsässischen Nacht sammelt sie die nötige Kraft, um ihren Rachefeldzug zu vollenden.

Das Sponti-Motto „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ wird in dem Film von Susanne Schneider, der 2009 seine Kinopremiere feierte, wiederverwertet. Katharina Schüttler, die für die Rolle der Alice 2010 mit dem Bayerischen Filmpreis als Beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde, trifft auf eine mindestens ebenbürtige Gegnerin mit authentischer 68er-Vergangenheit: Iris Berben als Jutta alias Judith. Sie erscheint genauso zielstrebig bis verbissen wie ihre erstgeborene Tochter, deren Existenz sie verdrängt hatte. Selbstredend engagiert sich Judith bei einer Bürgerinitiative gegen den Anbau von genverändertem Mais. Außerdem managt sie das Weingut und erzieht ihre Kinder Lucas und Francine. Jens Harants Kamera wechselt in dieser deutsch-französischen Koproduktion von Südwestrundfunk und Arte zwischen den Gesichtern der Duellantinnen Berben und Schüttler rasant hin und her, unterbrochen durch ruhige Landschaftsaufnahmen.

„Was erwartest du jetzt von mir?“ fährt Judith ihre Tochter an, die sie zunächst nicht wiedererkannt hatte. Doch ein heimlicher Blick ins Gepäck schafft Klarheit: Alice hat Beweismaterial dabei, Polizeifotos des bei dem Bankraub erschossenen Mannes und einen Fahndungsaufruf, betreffend Jutta Beermann. Um ihre Mutter zu erpressen, deren Argument „Man konnte doch nicht mit Kindern kämpfen!“ sie nicht gelten lässt, bestückt Alice mit der Energie eines Robespierre des Nachts die Rebstöcke mit Kopien des Fahndungsplakats: ein einziger Weinberg der Anklage. Das ist eines der stärksten Bilder des Films, der zwar ganz vom Zweikampf der beiden bravourösen Hauptdarstellerinnen lebt, aber von Jutta Beermanns Vergangenheit zu wenig erzählt, um die entsprechende Fallhöhe zu erzeugen. Katrin Hillgruber

„Es kommt der Tag“, 20 Uhr 15, Arte

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