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© SWR-Pressestelle/Fotoredaktion

KRIMI-JUBILÄUM: Achtung, Baby!

20 Jahre Lena Odenthal: Wie Ulrike Folkerts die Rolle der „Tatort“-Kommissarin angenommen hat

Der Zuschauer soll niemals vorschnell von einer Rolle auf deren Darsteller schließen. Von daher verbietet sich die Frage, ob Lena Odenthal gleich im Berliner Tiergarten um die Ecke kommt, nur weil man dort mit der Schauspielerin Ulrike Folkerts verabredet ist, die seit dem 29. Oktober 1989 die Ermittlerin Lena Odenthal im Ludwigshafener „Tatort“ spielt. Ulrike Folkerts lächelt. Sie ist schon da, überpünktlich, geht voraus zum Tisch. Kein Kopper in der Nähe, Odenthals treuer Kollege in Deutschlands beliebtestem Fernsehkrimi.

Alles in Ordnung also, und wenn das wirklich immer noch so schlimm wäre mit der allzu heftigen Identifikation von Schauspieler und Figur, wie das jahrelang bei Ulrike Folkerts der Fall war, und den ewigen Journalistenfragen zu dem Thema würde die Schauspielerin vielleicht nicht so strahlend aussehen wie an diesem Spätsommertag: braungebrannt, die Haare viel länger als in den Anfangsjahren ihrer „Tatort“-Zeit, sehr entspannt.

Gerade war sie nach einem Odenthal-Dreh für ein paar Tage in London. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das genossen hatte, dass mich keiner kannte. Ein tolles Gefühl.“ Dieses tolle Gefühl kann sie auch in Berlin haben. „Gott sei Dank habe ich einen großen Freundeskreis, und der hat nicht so viel mit meinem Beruf zu tun. Ich vergesse es tatsächlich manchmal, dass ich Lena Odenthal bin.“

Lena Odenthal vergessen. Das ist gar nicht so einfach. Die meisten Menschen, acht Millionen im Schnitt, kennen Ulrike Folkerts unter diesem Namen vom Bildschirm her. Da taucht sie seit 20 Jahren zwei-, dreimal im Jahr als kumpelhafte Ermittlerin im Ludwigshafener „Tatort“ auf. Heute läuft die Jubiläums-Ausgabe. Eine Eifersuchts-MordGeschichte um zwei scheinbar zusammenhangslos liegende Fälle. Man merkt den Autoren das Bemühen an, der Odenthal etwas Besonderes auf den Leib zu schreiben, wobei das Besondere bei der Folkerts etwas ganz Normales ist. Sie ist nicht mehr Quotenkönigin unter den „Tatort“-Kommissarinnen – den Rang hat ihr Maria Furtwängler streitig gemacht–, sie ist aber definitiv die glaubwürdigste. Die Figur Lena Odenthal strahlt eine Integrität aus wie kaum ein anderer Fernsehermittler. So hatte sich das der Fernsehfilmchef des Südwestfunks, Peter Schulze-Rohr, 1988 wohl auch vorgestellt, als er eine Kommissarin französischen Typs suchte und eine 27-Jährige engagiert, die frisch vom Theater Oldenburg kommt und in den ersten „Tatort“-Jahren noch nebenbei in einer Charlottenburger Bar arbeitet.

Dass daraus eine Kommissarinnen-Karriere geworden ist, eine feste Größe in der Fernsehlandschaft – Ulrike Folkerts scheint sich selbst manchmal kneifen zu wollen, wenn sie ihre fast 50 „Tatort“-Folgen an sich vorbeirauschen sieht, darunter Klassiker wie „Der schwarze Engel“ (1994) oder der ungewöhnlichste „Tatort“ aller Zeiten: „Tod im All“ (1997). „Damals gab es außer Karin Anselm und Nicole Heesters ja keine TV-Kommissarin. Mein erster Regisseur Peter Schultze-Rohr war schon speziell, ein alter Hase. Und ich ein junger aufgeregter, schüchterner Hüpfer. Er hatte so was Väterliches, was mir auch so ein bisschen auf den Keks gegangen ist. Wer wird schon gerne Ulrikchen genannt.“ Sie überlegt. Ulrikchen.Wie sich die Zeiten ändern. Nein, sie habe mit diesem Job ein absolutes Glück, sie mache etwas, was ihr Spaß macht und worin sie Erfolg habe. Viele der Leute am Set in Baden-Baden sind über die Jahre meine Freunde geworden. Das ist wie family. Die genießen das auch, dass ich da immer noch mit voller Kraft dastehe und das gerne mache. „Dieser ,Tatort’ ist, ja, so ein bisschen mein Baby.“

Dieser Satz wäre der Schauspielerin vor ein paar Jahren nicht so leicht über die Lippen gegangen. „Sicher habe ich eine Zeit lang gelitten, weil ich dachte, ich krieg’ keine anderen Rollen, weil ich nicht wusste, wie ich da rauskommen sollte. Ich brauchte eine Chance, mich neu auszuprobieren.“ Die Chance hat sie bekommen. Und genutzt, unter anderem mit der „Leibwächterin“ 2005 an der Seite von Barbara Rudnik, bei den Salzburger Festspielen als erste Frau im „Jedermann“ in der Rolle des Todes oder in „Willkommen zu Hause“ als Ärztin eines vom Afghanistan-Einsatz traumatisierten Soldaten. Am Dienstag spielt sie in der Primetime eine Schwangere in der Sat1-Komödie „Liebe in anderen Umständen“.

An eine solche Rolle war Mitte, Ende der 90er Jahre nicht zu denken. Da schien Ulrike Folkerts mit Jeans und Lederjacke der Lena Odenthal verwachsen zu sein. Sie sei schon stolz darauf, mit ihrer Art ein Bild bestimmt zu haben, wie eine Frau im Fernsehen sein sollte: „ein bisschen widerspenstig, widersprüchlich, ruppiger.“ Dieses Burschikose mit den kurzen Haaren am Anfang bei der Odenthal, das habe ihr „wahnsinnigen Spaß“ gemacht. Das habe sie auch nicht aufgegeben, außer, dass ihre Haare länger sind. „Natürlich hatte ich damals eine andere innere Haltung. Ich fand’s gut, wenn die Odenthal sich mal fetzte, prügelte.“ Sie lacht. „Jetzt habe ich’s lieber, wenn sie klug ist und diplomatisch.“ Es sei, sagt sie, auf jeden Fall so viel von Ulrike Folkerts in Lena Odenthal, dass der Zuschauer sie immer wiedererkenne.

„Tatort“-Kommissare sind Projektionsfläche für Millionen Zuschauer. Ulrike Folkerts würde in dieser Hinsicht schon gerne „unnahbar bleiben“. Und sie hat in den vergangenen Jahren, auch nach dem Bekanntwerden ihrer Homosexualität, einiges dafür getan, zwischen sich und ihre Fernseh-Ermittlerin Abstand zu bekommen: eben andere Rollen ergattert, zwei Bücher geschrieben, darunter eines über Glücksfindung, zusammen mit ihrer Lebensgefährtin, der Künstlerin Katharina Schnitzler.

Dennoch, die Lena Odenthal wird sie so schnell nicht los. Im Einsatz seit dem 29. Oktober 1989. Damals stand die Mauer noch. Jetzt ist Ulrike Folkerts 48. Es ist nicht unbedingt so, dass das Rollen-Angebot für Schauspielerinnen ab 50 größer wird. Ob sie manchmal nachts träume von der Rolle? Nein, aber die 20 Jahre im und mit dem „Tatort“ sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Sie könne fast an jeder ihrer Arbeiten erkennen, in welcher Lebensphase sie gerade war. Und es gebe privat schon Momente, wo sie merkt: „Aha, ich kombiniere. In der Art: Wenn dies, dann kann nur das…“ Sie scheint das nicht zu erschrecken. Wie lange will sie das noch machen? So lange wie „Derrick“? Noch mal 20 Jahre? „Dann bin ich 68. Ich weiß es nicht. Die natürliche Grenze wäre, wenn die Inhalte zu schwach werden.“ Dann geht sie, schwingt sich aufs Fahrrad. Unerkannt.

„Tatort - Vermisst“, ARD, 20 Uhr 15

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