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© WDR

Krimiserien: Rock’n’Roll im Sektionssaal

Aus Sicht des Rechtsmediziners: Was Münster-"Tatort", "CSI" und andere Leichentisch-Krimis mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Der Tod war schon immer ein schlechter Schauspieler. Er verstellt sich nicht, fühlt sich nicht ein in die Person, die er ereilt, oder identifiziert sich mit ihr – er kommt einfach vorbei und verschwindet dann wieder. Trotzdem spielt der Tod im deutschen Fernsehen gerade mehrere Hauptrollen, logischerweise die des Schurken. Auf der anderen Seite, die Helden, das sind wir, die Rechtsmediziner. Oder anders: Das sollen wir sein. Sind wir das wirklich?

Nehmen wir einen ganz normalen Donnerstagabend bei RTL. Der bietet einen Telefortbildungskurs in Sachen Rechtsmedizin, zumindest scheint es so für den Laien. Den Auftakt macht die US-amerikanische Serie „CSI: Den Tätern auf der Spur“ von Erfolgsproduzent Jerry Bruckheimer („Fluch der Karibik“). Gleich darauf folgt „Bones“, ebenfalls eine amerikanische Produktion über eine forensische Anthropologin, die auf die Identifizierung skelettierter Überreste von Opfern des Ersten Weltkriegs spezialisiert ist. Den Abschluss bildet „Die Gerichtsmedizinerin“, eine Serie, in der es um die aus Bayern nach Hamburg berufene Rechtsmedizinerin Hanna Wildbauer geht, dargestellt von Lisa Fitz.

Eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird: Was haben die Fernsehermittler mit mir und meinen Kollegen aus der Realität gemein? Nicht viel. Eigentlich gar nichts. Das liegt vor allem daran, dass ein völlig undifferenziertes Bild von uns und unserer Arbeit gezeichnet wird. Die Protagonisten der TV-Produktionen sind Helden, die mit abschätzendem Blick und ein paar schnellen Handgriffen die Todesursache von Mordopfern bestimmen. Dass an dieser Arbeit ein Team aus polizeilichen Ermittlern, Chemikern, Molekularbiologen und eben Ärzten beteiligt ist, wird bestenfalls nur am Rande erwähnt.

Überhaupt geht bei den Fernsehkollegen alles ziemlich lässig und entspannt zu. Zum Beispiel bei der „Gerichtsmedizinerin“. Sie löst die Fälle um die Mordopfer quasi im Alleingang. Obduziert ein wenig hier, ermittelt ein wenig da, flirtet nebenbei noch mit dem Kommissar – und am Ende ist des Todes Rätsel gelöst und der Täter geschnappt.

Rock’n’Roll im Sektionssaal. Dass wir in der Realität mit einer Obduktion bis zu 22 Stunden am Stück beschäftigt sind, kommt gar nicht ’rüber, ganz im Gegenteil. Manchmal wird sogar der Eindruck erzeugt, die Leiche läge tagelang aufgebahrt auf dem Sektionstisch, und immer, wenn der Staatsanwalt Fragen hat, geht der Rechtsmediziner noch mal hin und guckt nach.

Es sind die Details, die den Profi entsetzt den Kopf schütteln lassen. Etwa wenn Protagonistin Hanna Wildbauer alias Lisa Fitz am Seziertisch „oberflächliche Hämatome am Rücken“ dokumentiert, ohne die Leiche auch nur einmal auf den Bauch gedreht zu haben, um ebenden Rücken begutachten zu können. Auch die Maske leistet bei der Präparation der Toten keine gute Arbeit – oder wurde schlecht beraten.

Menschen, die etwa eine Woche tot sind, fangen an zu faulen. Ihre Haut verfärbt sich grün, der Körper bläht durch Gasbildung auf, das Gesicht wird dadurch bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die Toten, die in der Serie gezeigt werden, sehen trotz anderslautender Schätzungen der Gerichtsmedizinerin aber noch ziemlich frisch aus. Zu viel Ekel wollen die Fernsehmacher den Zuschauern offenbar nicht zumuten.

Ein Klassiker bei diesen Serien ist auch immer wieder der Moment, in dem Angehörige der Opfer in den Sektionssaal kommen, um die Leiche zu identifizieren oder Abschied zu nehmen. So etwas hat es zumindest in Deutschland noch nie gegeben. In der Berliner Rechtsmedizin obduzieren wir sechs bis acht Tote am Tag – wenn wir es auch noch mit deren Angehörigen zu tun hätten, wäre der Sektionssaal ziemlich voll, und wir kämen gar nicht mehr zum Arbeiten. Aber weil sich das irgend ein schlechter Drehbuchschreiber mal vor zwanzig Jahren ausgedacht hat und es so schön dramatisch wirkt, wird dieses Klischee im Film immer wieder bedient.

Was auch häufig zu sehen ist: Dass wir Rechtsmediziner unsere Arbeit im Halbdunkel erledigen. Der TV-Sektionssaal ist fast immer schummrig beleuchtet, so, als könne man uns den schlimmen Anblick der Leichen nicht zumuten, als müsse man uns vor Albträumen schützen. Das ist natürlich kompletter Blödsinn. In der Realität ist der Sektionssaal ebenso hell beleuchtet wie ein Operationssaal, schließlich muss man auch die kleinsten und schwächsten Hämatome an einer Leiche erkennen. Und das geht eben nicht, wenn das Licht auf kuschelig gedimmt ist.

Suggeriert wird in „CSI“ und Co. zudem gerne, dass wir unmittelbar an den Ermittlungen beteiligt sind und beispielsweise Zeugenbefragungen durchführen. Das stimmt nicht. Unser Job ist es, medizinische Befunde zu erheben, wir arbeiten als Sachverständige für die Justiz, die sich eben unseres Expertenwissens bedient. Aber natürlich wirkt es im Fernsehen wesentlich spektakulärer, wenn Rechtsmediziner persönlich den mutmaßlichen Täter jagen, und das auch noch auf Absatzschuhen wie „Die Gerichtsmedizinerin“.

Am meisten ärgert mich jedoch, dass im Fernsehen Rechtsmediziner immer noch mit Pathologen verwechselt werden. Das kommt sogar im „Tatort“ vor – wobei ich den Münsteraner „Tatort“ mit Jan-Josef Liefers und Axel Prahl unter rechtsmedizinischen Aspekten von allen TV-Produktionen noch am gelungensten finde. Um da weiteren Verwechslungen vorzubeugen: Pathologen untersuchen Menschen, die im Krankenhaus gestorben sind, und zwar mit dem Einverständnis der Angehörigen. Rechtsmediziner benötigen diese Zustimmung nicht. Wir obduzieren im Auftrag der Staatsanwaltschaft, die den Leichnam beschlagnahmt hat und Verfahrensherr bei den Ermittlungen ist.

Vor geraumer Zeit war in den Printmedien von dem sogenannten „CSI-Effekt“ zu lesen. Demnach könne sich die Rechtsmedizin dank des gewaltigen Fernseh-Hypes vor Bewerbern kaum retten. Das kann ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen. Es stimmt, dass das Fach bei Medizinstudenten beliebter ist als noch vor zehn Jahren. Auch die Nachfrage nach Praktikumsplätzen und Famulaturen ist recht groß. Aber mehr geeignete Bewerber haben wir dadurch trotzdem nicht. Kürzlich hatten wir zum Beispiel zwei Stellen neu zu besetzen. Im Rahmen der Ausschreibung bewarb sich bei uns auch eine Frau als Rechtsmedizinerin, die als Arzthelferin bei einem Veterinär beschäftigt war. Wahrscheinlich hatte sie in ihrer Freizeit dann doch zu viel ferngesehen.

Prof. Dr. Michael Tsokos, 41, ist Leiter der Berliner Rechtsmedizin. Am Sonntag, dem 7. Dezember, hält er am Maxim-Gorki-Theater einen Vortrag zum Thema „Faszination Rechtsmedizin – Medien versus Wirklichkeit“. Beginn ist 11 Uhr, der Eintritt ist frei.

Michael Tsokos

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