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KRITISCH gesehen: Hier feiert sich der Nichtwähler

Günther Jauch. ARD.

Günther Jauch. ARD.

Der Moderator macht das Thema „Denkzettel statt Stimmzettel – wozu noch wählen?" gleich fett. Er sitzt zwischen fünf Bürgern, die eines gemeinsam haben: Sie werden nicht zur Bundestagswahl am 22. September gehen. Der Kölner nicht, die Minijobberin nicht, der Rentner aus Oranienburg nicht, die Autorin Andrea Hanna Hünniger nicht. Allesamt sind sie politikverdrossen, enttäuscht von leeren Versprechungen. Und ihnen allen gemeinsam ist, dass sie das eigene Nein zur Schuld von Politik und Politikern erklären. Die Nichtwähler unter den Talkzuschauern – wahrscheinlich mehr als 30 Prozent in drei Wochen – werden begeistert sein.

Und Günther Jauch gibt dem Affen Zucker. In seiner Runde sitzen mit Gabor Steingart, Herausgeber des „Handelsblatts“, Walter Kohl, Unternehmer und Sohn von Altkanzler Helmut Kohl, und der Autorin Hünniger weitere Vertreter aus dem Neinsager-Lager. Wie zum Trost haben wenigstens Steingart und Kohl ihre (Ver-)Weigerung durchdacht. Sie machen Politik, indem sie der gewählten Politik den Rücken zukehren. Sie sind politisch denkende, politisch handelnde Nichtwähler. Sie zeigen alles, aber keine Wurschtegalhaltung. Steingart ist dermaßen im Schwung und vom eigenen Tun überzeugt, dass er sich im Disput mit dem CDU-Politiker und Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière zum „Hilfsmoderator“ von Günther Jauch erklärt. Wer sich so wie Steingart austobt und austoben darf, der hat die Gewissheit gewonnen, dass diese Talkshow nur die Bühne für die eigene Partei sein kann.

Thomas de Maizière und Egon Bahr, der weise, alte Mann der SPD, sind zu wenig, um die Mehrheit der Wähler zu vertreten. Der CDU-Mann lässt sich auf zu viele Euro-Scharmützel mit Steingart ein, Bahr verliert sich zu oft in der Weimarer Republik und ihren (nazistischen) Folgen. Günther Jauch stichelt schon gegen die Neinsager, nennt Steingarts Verweigerung quasi in Retourkutsche zu dessen Ko-Moderator-Attitüde „bequem“. Aber es fehlt seiner Auftaktsendung nach der Sommerpause eine wesentliche Perspektive: Sind jene 70 Prozent, die am 22. September ihr Kreuz machen werden, doofe Demokraten, die den unglaubwürdigen, ja verlogenen Politikern den, Entschuldigung, Arsch retten wollen? Dass Bahr und de Maizière dem politischen System und ihren Parteien die Stange halten, ist alles andere als eine Überraschung. Die Jauch-Runde kippt nolens volens zu den Nichtwählern, ihren Stimmungen, Ressentiments, Kränkungen. Die beiden Fraktionen, die der Wähler und der Nichtwähler, sie müssten sich messen, sie müssten ringen. Ein Wähler-Nichtwähler-Talk wäre angezeigt, eine Runde, in der die Engagierten mindestens so ausreichend und so überzeugend zu Wort kommen wie die Gruppe der Ablehner.

Übrigens sollte die Jauch-Redaktion mal zur Kenntnis nehmen, dass in Deutschland auch Frauen zur Urne gehen dürfen. Außer der argumentativ bescheidenen Autorin und gefühligen Nichtwählerin Hünniger sitzt keine einzige Frau in der Runde. Wenn das nicht peinlich ist – was dann?

Von Günther Jauch darf unbedingt angenommen werden, dass er zu Wahl geht. Vielleicht ist der Moderator ja über die Maßen pfiffig. Wer eine Runde zur Nichtwählerei dergestalt akzentuiert, der hat möglicherweise Feines im Hintersinn: Dass alle, die bei der Bundestagswahl aktiv werden wollen, sich bestärkt sehen durch jene, die sich verabschiedet haben. Jetzt erst recht, nicht im kollektiven Nein zur Politik, sondern im individuellen Ja zu den einzelnen Parteien liegt die politische Partizipation. Vielleicht hatte Jauch diese sanfte Pädagogik im Blick und zum Ziel. Wer so schreibt und urteilt, den plagt, ehrlich gesagt, außer der Enttäuschung über eine falsch gepolte Talkshow eine ganz andere Angst: Am 22. September wird ein neues Rekordtief bei der Beteiligung an einer Bundestagswahl erreicht. Und dann stürzen sich die Talker der Fernsehrepublik auf das Verweigerungs-Klientel mit Engagement und mit Verve. Damit Frust wieder Lust macht – und Quote. Joachim Huber

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