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Früher mit Wucht, heute mit Schmackes. Was 1972, im Gründungsjahr von „essen & trinken“, als lecker galt, das muss 40 Jahre später nicht mehr schmecken. Heute gilt der Slogan, dass die empfohlenen Rezepte einfach und gut sind. Und alles, was vorgekocht wird, muss vom Heftkäufer nachgekocht werden können.

© G+J

Lecker Zeitschrift: Die ganz fetten Jahre sind vorbei

Aber nicht für „essen & trinken“, Deutschlands größtes Foodmagazin. „Ehrliche Küche“ lautet das Rezept zum 40. Geburtstag.

Manchmal geht es nicht anders. Manchmal muss man das Ruder rumreißen. Ob man will oder nicht. „Es war klar: So konnte das nicht weitergehen“, sagt Alexander Schwerin, Verlagsleiter von G+J Life, zu der unter anderem die Zeitschriften „Brigitte“, „Gala“, „11 Freunde“, „Living at Home“ und „Schöner Wohnen“ zählen. Und „essen & trinken“, der große Tanker unter den Foodzeitschriften Deutschlands. Ja, mehr noch: der größte Tanker von allen. Es war das Jahr 2010, die Auflagenzahlen sanken. 2007, 2008 und 2009 jeweils um fünf Prozent, ein groß angelegter Relaunch 2009 brachte auch keine Besserung. Es kam, wie es kommen musste: Die alte Chefredaktion musste gehen, ein neuer Chefredakteur übernahm das Ruder. Und das kleine Wunder konnte beginnen.

Nach drei Monaten: Sinkflug gestoppt, Auflage um acht Prozent gestiegen. Nach einem Jahr: Gesamtauflage um 17 Prozent gesteigert, Zuwachs im Einzelverkauf 24 Prozent. Verkaufte Auflage 2007: 194 000 Hefte. 2010: 164 000. Dann die Wende. 2011: 177 000. 2012: 181 000. Mit jeder Ausgabe erreicht „essen & trinken“ derzeit 2,71 Millionen Leser und damit eine Million mehr als der nächste Konkurrent. Ein schönes Geschenk für den 40. Geburtstag im Oktober 2012.

Der Wunderknabe, der das zu verantworten hat, heißt Stephan Schäfer und leitet inzwischen als Chefredakteur fünf Zeitschriften der Life-Gruppe im Hamburger Verlag Gruner + Jahr. Seine vorerst letzte Eroberung ist die Übernahme der Chefredaktion der „Brigitte“ (als Doppelspitze mit Brigitte Huber).

Das Geheimnis seines Erfolgs bei „essen & trinken“ besteht aus nicht mehr als zwei Worten. Sie lauten: „einfach“ und „gut“. Soll heißen: zurück zu den Wurzeln, zurück zu einer einfachen Küche, die jeder nachkochen kann. Mit Anspruch. Aber ohne Schischi. Also ohne Kaviar und all das Zeug, das in den sinnesfrohen 90er Jahren des letzten Jahrtausends als einzig glückselig machend galt. Weg mit kompliziert! Her mit Bouletten und Pasta, Schnitzel und Pflaumenkuchen, gut gemacht und mit Verstand. Man kann das eine kleine Revolution nennen. Oder ganz einfach Anpassung an das, was Zeitgeist genannt wird.

„Ich hatte vom Thema keine Ahnung, als ich bei ‚essen & trinken’ anfing“, sagt Schäfer. Aber er hatte eine Mama. Wenn es in der Redaktionskonferenz mal wieder hoch herging und keiner sagen konnte, ob das Gericht, um das es ging, nicht doch zu kompliziert war, dann rief Schäfer einfach mal seine Mama an und fragte, was sie davon halte.

Alles, was Mama schmeckt. Stephan Schäfer, Chefredakteur von „essen +& trinken“, hat klare Vorstellungen von Genuss.

© G+J

Mama – und das Prinzip Kassel. Alle Zutaten eines Gerichtes müssen ohne großen Aufwand zu bekommen sein. Also überall in Deutschland, in Kassel und drumherum. Geht das nicht, geht das Gericht nicht. Ganz einfach. „Was unser Ziel ist?“, sagt Clemens von Luck, stellvertretender Chefredakteur von „essen & trinken“: „Eine ehrliche Küche. Was die Leute wollen, ist gutes, machbares Essen.“ Also kriegen sie, was sie wollen.

Und wie es aussieht, sind die Leser zufrieden mit dem, was ihnen da einmal im Monat vorgesetzt wird. „Wir bekommen jede Menge Post“, sagt von Luck, „und alle sind begeistert von dem, was sie sehen und lesen.“ Lust machen aufs Essen, Klarheit vermitteln, bodenständige Eleganz als Grundlinie, so beschreibt Clemens von Luck das neue Konzept, das so erfolgreich ist, dass selbst von höchster Stelle im großen Verlag nichts als Lob kommt.

Für das Geburtstagsheft wurden mehr als 50 Anzeigenseiten verkauft, so viele, wie zuletzt vor zehn Jahren. „Der Verlag ist zufrieden“, sagt Verlagsleiter Schwerin. Kein Druck, nichts, nicht einmal der leise geäußerte Wunsch, vielleicht doch noch etwas stärker zuzulegen? „Nein.“ Und das in diesen Zeiten – ach du glückliches „essen & trinken“. Auch das Internet mit seinen vielen Angeboten und kulinarischen Blogs und Webseiten kann die Redaktion im Aufwind nicht schrecken. Was scheren den Tanker die Jollen, die seinen Weg kreuzen. Es wird sich was tun, irgendwann, vielleicht demnächst schon. „Wir haben online einiges vor“, sagt Vizechef von Luck. Mehr will er nicht verraten.

Dass die ganz fetten Jahre vorbei sind, das bekam in den letzten Jahren auch die Redaktion von „essen & trinken“ zu spüren. Die Hälfte der Redakteure musste gehen, die grafische Abteilung wurde komplett aufgelöst und bis auf die Leitung in freie Hände gelegt. Nur von den „Helden unserer Arbeit“, wie Chefredakteur Schäfer die neun Köche der Versuchsküche von „essen & trinken“ nennt, konnte und wollte man sich nicht trennen. Und weil die Versuchsküche und ihr kochendes Personal so wichtig sind für das neue Heft, dürfen die Köche jetzt, was sie früher nie durften, weil das den Redakteuren und Autoren vorbehalten war: reisen, hinaus in die Welt, und erzählen, was sie erlebt haben.

Das ist ebenso Teil des neuen, so erfolgreichen Konzeptes wie die aufgehellte Optik des Blattes und der wieder größer gedruckte Name „essen & trinken“ auf dem Titel. Soll heißen: Seht her, wir sind wieder wer!

Seit zehn Jahren leitet Achim Ellmer das Herzstück der Zeitschrift, die Versuchsküche im Verlag, in der auch probegekocht wird, was die anderen Mitglieder der Life-Gruppe in ihre Hefte bringen wollen. Jedes Rezept wird dreimal zubereitet, ehe es veröffentlicht wird. Bloß keinen Fehler machen! Der Leser, der kochende, verzeiht nicht und überflutet im Fall des Falles die Redaktion mit wütenden Zuschriften.

„Ja“, sagt Ellmer, „es hat sich etwas verändert in der Küche der Deutschen. Luxus und Molekular sind passé, die Leute wollen wieder das Einfache. Es darf zwar ruhig etwas anspruchsvoll sein, aber auf keinen Fall übertrieben kompliziert.“ Kaviar, Seeteufel, Steinbutt oder Schwertfisch, das alles kommt in der Ellmer’schen Versuchsküche nicht mehr vor. Produkte aus der Region dagegen schon. Überhaupt alles, was gut ist, „wie immer schon“. Aber es muss nicht unbedingt Bio sein.

An dem Anspruch von „essen & trinken“, etwas Besonderes sein und liefern zu wollen, habe sich nichts geändert, sagt Ellmer. Und das ist schwer genug. Was isst er, der Chefkoch unter den Köchen, am liebsten? Spaghetti Vongole mit getrocknetem Fischrogen, eine Erinnerung an seine Zeit auf Sardinien. Und: Königsberger Klopse. Mama ist überall.

Als im Oktober 1973 das erste Heft von „essen & trinken“ erschien, stand unter anderem auf der Titelseite „Avocado: eine Verlockung aus dem Urwald“. Es war die Zeit, in der die Deutschen kulinarisch die Welt jenseits von Bratkartoffeln und Schnitzel entdeckten. 1991, als Peter Ploog die Chefredaktion übernahm, waren die Deutschen schon einen Schritt weiter. Sie liebten zwar immer noch ihre Sahne und ihre Butter über alles, sagt Ploog, der die Zeitschrift insgesamt 13 Jahre lang leitete, aber sie waren auch bereit für Bärlauch und andere Merkwürdigkeiten. Es ging voran.

„Das neue Heft“, sagt Ploog, „das ‚essen & trinken’ von 2012 gefällt mir ausgezeichnet. Es erfüllt die Tugenden, die ,essen & trinken’ immer ausgezeichnet haben: erfinderisch zu sein und praktikable Rezepte zu bieten.“

Ganz besonders gefällt ihm der Begriff der „ehrlichen Küche“. „Das bringt es auf den Punkt“, sagt Ploog, der in Genua und Hamburg lebt und das Dolce Vita genießt, wo immer er es trifft. Der Altmeister hat gesprochen und für gut befunden. Kann man noch mehr wollen?

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