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Lindenstraße

© WDR

Lindenstraße: Pro Familia

In der ARD-Dauerserie "Lindenstraße" gibt es neue Bewohner: Warum es nicht die letzten sein dürften.

Vielen wird es vielleicht gar nicht auffallen - und das ist sicher nicht das Beste, was man über den derzeitigen Zustand der "Lindenstraße" sagen kann. Erstmals seit 16 Jahren und erst zum dritten Mal überhaupt zieht heute eine komplett neue Familie in Deutschlands bekannteste Familienserie ein, in das berühmte Haus mit der Nummer 3. Neue Nachbarn der Zenkers, Beimers oder Sarikakis sind die Stadlers, eine waschechte Münchner Familie aus der Mittelschicht, die laut Ankündigung einen frischen, bunten Eindruck macht und weniger von Neurosen geplagt zu sein scheint als der Rest der "Lindenstraße".

Neue Familien in der "Lindenstraße" gab es zuletzt 1990 mit den reichlich problembeladenen Zenkers und 1992 mit den Sperlings. Fast glaubt man sich nun mit den Stadlers zurückversetzt in die Anfangszeiten des Mediums, in die 50er und 60er Jahre, als "Die Unverbesserlichen" und "Familie Hesselbach" die Freuden des Wirtschaftswunders in deutsche Wohnstuben trugen, als es die Wörter "Patchworkfamilie", "alleinerziehend", "Familienaufstellung" oder "Elternzeit" noch nicht gab.

Ganz so heil sind die Verhältnisse aber auch bei den Stadlers nicht. Familienoberhaupt Jimi Stadler ist Installateurmeister, seine Frau Maria schmeißt neben ihrem Job als Politesse auch den Haushalt. Die beiden Töchter im Teenager-Alter sind gegensätzlich angelegt. Die wissbegierige Caroline konzentriert sich ganz auf die Schule, während sich Josefine eher für Klamotten interessiert. Schließlich gibt es noch Opa Adi. Der ehemalige Fotograf und zuckerkranke Alt-68er - ein Alter Ego von "Lindensstraßen"-Produzent und -Erfinder Hans W. Geißendörfer - ist nicht begeistert, dass er mit seiner vermeintlich spießigen Familie unter einem Dach leben muss. Wie heißt es so schön: Da bleibt Stress nicht aus.

Der Fernsehspielchef des zuständigen Westdeutschen Rundfunks (WDR), Gebhard Henke, sieht in der neuen Familie die beiden großen "Public Value"-Themen der ARD zusammengeführt: "Kinder sind Zukunft" und "Demografischer Wandel". Die Serie schaffe mit den Stadlers Raum für "noch mehr aktuelle Themen und Zeitströmungen".

Aber auch mit der neuen Familie dürften sich an der Dauer-Soap weiterhin die Geister scheiden. Der "Spiegel" legte kürzlich wieder die alte Platte auf, die "Lindenstraße" in ihren "muffigen TV-Wohnblocks" müsse endlich dichtgemacht werden. Sie sei ein "Panoptikum der Piefigkeit", biete uninspirierte Charaktere und grauenhafte Dialogzeilen. Ganz so schlimm ist es nicht, auch wenn für viele Uralt-Fans der "Lindenstraße" der Sonntagabend, kurz vor 19 Uhr, kein heiliger Termin mehr ist. Andere verweisen darauf, dass sich die "Lindenstraße" mit den Jahren durchaus verändert habe und selbstironischer geworden sei.

Die Ironie in der "Lindenstraße" ist von jener Sorte, wie sie in vielen TV-Dauerbrennern vorkommt, wenn sich Rituale herausgebildet haben, bestimmte Dialogphrasen und Szenenmuster. So wie im ZDF-Krimi "Ein Fall für zwei" immer klar ist, dass der Rechtsanwalt zähneknirschend die Restaurant-Rechnung für den Detektiv bezahlt, so versteht es sich in der "Lindenstraße" von selbst, dass Mutter Beimer nervt, wenn sie irgendwo klingelt und etwas will. Die viel gescholtene Marie-Luise Marjan legt die Rolle auch immer häufiger als Parodie an, etwa wenn ihr beim Backen mal wieder die Plätzchen anbrennen. Zugutehalten kann man der "Lindenstraße", dass sie keine jungen, hippen Leute ausstellt, die als Hilfskellner arbeiten, aber trotzdem in einer Vierzimmer-Art-déco-Wohnung leben. Im Gegensatz zu vielen anderen TV-Soaps bemüht sie sich wenigstens um eine differenzierte Darstellung aktueller Generationenkonflikte. Bei allem Bemühen sind die Einschaltquoten der "Lindenstraße" trotzdem deutlich gesunken. Schalteten im Jahr 1991 noch mehr als zehn Millionen Zuschauer ein, so sind es jetzt nur noch knapp 3,5 Millionen. Mal sehen, ob die Stadlers an der Entwicklung etwas ändern können.

Sicher: Arzt- und vor allem Crime-Mystery-Serien haben der Familiensoap längst den Rang abgelaufen. Interessanter als die Frage nach der Zukunft und der vermeintlichen Frische der "Lindenstraße" - man könnte sich ja auch mal über den Sturkopf Geißendörfer freuen, der nicht jedem modischen Windchen hinterhereilt und Familienbilder, Visionen von Beziehungsmustern nicht allein den Reality-Doku-Formaten im Privatfernsehen überlässt - ist ein Blick auf das Genre.

Mit "Türkisch für Anfänger" oder der Daily Soap "Marienhof" hat es im deutschen Fernsehen jüngst verschiedene Versuche gegeben, klassische Familienbilder zu brechen und soziale Wirklichkeit abzubilden. Patchwork ist in. Oder am besten gleich: alleinerziehend. Doch schon in den 80er Jahren bei den "Drombuschs" oder "Die glückliche Familie" kamen auch Scheidungen vor, anders als bei den "Schölermanns", der ersten Familienserie überhaupt im deutschen Fernsehen, aus den 50er Jahren. Von fiesen Intrigen in "Dallas" und "Denver" ganz zu schweigen.

Ist da die "Lindenstraße" überflüssig? Hans W. Geißendörfer will den Stadlers, seiner neuen Fernsehfamilie, mehr Chance auf Glück einräumen als den Beimers und Zenkers. Warum nicht? Es kann ja nicht schaden, wenn Deutschlands bekannteste Serie die Familie mit drei Generationen unter einem Dach wieder etwas enger zusammenrücken lässt. "Lindenstraße", ARD, 18 Uhr 50

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