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Heile Welt mit Sponsor im Titel: Der „Wernesgrüner Musikantenstadl“ mit Manuela Wolf und Reinhard Mirmsecker. Der MDR steht für Unterhaltung jenseits jeder Intellektualität. Kumpanei scheint im Sender wichtiger als korrekt ausgefüllte Formulare. Foto: MDR

© MDR/Klaus Winkler

MDR in Bedrängnis: Reiters brisanter Sonderweg

Skandale und Affären und die "Wernesgrüner Musikantenschenke": Der Mitteldeutsche Rundfunk ist weit davon entfernt, ein ganz normaler ARD-Sender zu sein.

Ad hoc wurde Udo Foht, der langjährige Unterhaltungschef des MDR, suspendiert. Die Nutzung des offiziellen Sender-Briefkopfs „für private Zwecke“ wird es nicht allein gewesen sein. Eher machte sein Schreibtisch in der öffentlich-rechtlichen Drei-Länder-Anstalt wohl den Eindruck eines Kredit-Verschiebebahnhofs. Das war nicht länger tragbar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen. Eine für Donnerstag geplante Anhörung Fohts durch Intendant Udo Reiter wurde auf kommende Woche verschoben.

Zuvor schon war der Sender verhaltensauffällig geworden, weil in dem unter seiner Federführung laufenden Kinderkanal Kika ein paar Millionen Euro verzockt worden waren. Niemand will es bemerkt haben. Der spielsüchtige Herstellungsleiter ist inzwischen als Einzeltäter verurteilt worden. Das schöne gewalt- und werbefreie pädagogische Projekt Kika wurde einst – so wird es kolportiert – deshalb in Erfurt angesiedelt, weil am Tag der Entscheidung der damalige Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) gerade Geburtstag hatte.

Fast schon vergessen ist, dass auch der langjährige Sportchef Wilfried Mohren korrupt war und Sendezeiten an Sportveranstalter verkaufte, wofür er auch noch selber die Hand aufhielt. Eigenartig, was da so alles zusammenkommt. Ist das etwa ARD-typisch?

Bürokratie und Filz gibt es nicht nur in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, aber in der großen ARD-Familie ist der MDR schon etwas Besonderes: Nirgendwo sonst gibt es so viel Volksmusik vor Pappkulisse, Blumensträuße in der Studiodekoration, alte Filme, Service, Geburtstagsgrüße in Seniorenheime, Heimatidylle, Karriere-Endlager für ausgediente DDR-Stars – und Affirmation. Dem Ersten Programm liefert der Sender regelmäßig den Leipziger „Tatort“ und das nachmittägliche „Original“ der Zoo-Serie zu, in der die Pfleger mindestens so originell sind wie die Tiere. In der Ärzteserie aus der „Sachsenklinik“ ist der frühere FDJ-Gruß Titelbestandteil („In aller Freundschaft“), Florian Silbereisen wurde von Udo Foht erfunden und auch für das tägliche Boulevardmagazin „Brisant“, das die ARD so verwechselbar macht mit der privaten Konkurrenz, zeichnet der MDR verantwortlich.

Das alles ist nicht böse – eher spießig. Wir müssen uns den Sender in etwa vorstellen wie die „Wernesgrüner Musikantenschenke“. Die Welt ist heil, und der Sponsor steht im Titel.

Bedeutsam ist, was jetzt herauskommt, weil es beim Sender MDR um ein beispielloses Aufbauwerk geht. Das Werk des zum Jahresende freiwillig vorfristig aus dem Amt scheidenden Intendanten Udo Reiter. Das Flair des Do-it-yourself-Aufbaus, in dem im Zweifel eine rasche gegenseitige Kumpanei mehr zählt als korrekt ausgefüllte Formulare, durchzog den Sender. In seiner Jugend war der ehemalige Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks bekennendes Mitglied der Münchener Schickeria; dann lockte ihn das Missionswerk deutsche Einheit. Auf dem Gelände des Leipziger Schlachthofs residiert er seitdem. Abenteuerliche Zeiten waren es, als er mit ihm anvertrauten Gebührengeldern gewinnbringend Wertpapiergeschäfte machte, Werkswohnungen errichten ließ und einen Sender nach seiner Facon aufbaute – und dabei täglich lernte. Das Wichtigste: nicht belehren, die gelernten DDR-Bürger nicht von oben herab behandeln, ein Programm bauen, mit dem sie sich rundum wohlfühlen im neuen Staat. Pädagogische Programme, Konfrontation mit der Vergangenheit gar – das war nie Reiters Verständnis vom notwendigen Wirken eines Massenmediums.

Also gab es Unterhaltung, gereinigt von jedem Anflug von Intellektualität; Identifikationsangebote, die von der Landschaft über die Kultur bis zum Zoo reichten und viel ästhetische Kontinuität – allerdings unter gewendetem politischen Vorzeichen. DDR-Mentalität kam hier nur in den Schonwaschgang.

Anfangs zog es kritische Jungredakteure in den Osten. Einige verabschiedeten sich rasch wieder, wenn sie zum Beispiel feststellen mussten, dass eine kritische Kulturberichterstattung überhaupt nicht gefragt war. Alteingesessene dagegen blühten auf, wie der joviale Macher Udo Foht, für den die Stasi einst die Akte „IM Karsten Weiß“ angelegt hatte – ohne Verpflichtungserklärung. Nun durfte er mit viel Geld und potenten Partnern in Szene setzen, was er schon zu DDR-Zeiten gelernt und getan hatte: Schunkelmusik für alle. In der medialen „terra incognita“, wo „Spiegel“, „Stern“ oder „Zeit“ vergebens versuchten, heimisch zu werden, schaffte es der MDR mit einer Amüsier-Offensive zum quotenstärksten Dritten Programm aufzusteigen. Foht wurde unentbehrlich. Jetzt konnte er so agieren, wie er sich schon als Klein-Udo den Kapitalismus immer vorgestellt hatte: Aufträge vergeben, Netzwerke nutzen und Verwertungsketten basteln.

Damals in der Münchener Schickeria begegnete man natürlich auch dem ehrgeizigen Jung-Verleger Hubert Burda. Dessen heutiger Top-Manager Philipp Welte, der seine Freundschaft zu Foht mit einem Privatkredit von 30 000 Euro untermauert hatte, war einst Pressesprecher des Senders. Heute ist er für Burda auch für den „Bambi“ verantwortlich, den der MDR ebenso ausstrahlt wie die „Super-Henne“, die große Preis-Show der „Super-Illu“. Dieses einzige im Osten erfolgreiche Blatt eines West-Verlags funktioniert nach ähnlichem Prinzip wie der MDR. Folglich fanden sich beide zu einer von 1998 bis 2007 dauernden Partnerschaft in Form von „SuperIllu-TV“, ebenfalls ein Boulevard-Magazin wie „Brisant“. Die Übertragung von „Bambi“ und „Goldener Henne“ begreifen beide als Win-win-Situation. Ob solche Verlags-PR im Sinne des öffentlich-rechtlichen Auftrags liegt, wird weder hier noch beim ZDF gefragt, das Analoges für den Axel Springer Verlag („Goldene Kamera“) veranstaltet.

Im Sport und in der Unterhaltung ist also schon jeweils der Wurm drin gewesen; als extrem kritisch ist die landespolitische Berichterstattung des MDR bisher auch nicht auffällig geworden. Das ruft nach einer journalistischen Neuordnung. Fest steht aber schon, wer dies nach der Ära Reiter bewerkstelligen soll: Stefan Raue als „trimedialer Chefredakteur“. Der von Reiter installierte neue Mann verlas zuletzt im ZDF aushilfsweise das Politbarometer, reformierte sanft die Ländersendung „Blickpunkt“ und verteidigte die Kindersendung „Ich kann Kanzler“ als modernes Politisierungs-Event. Am 1. November übernimmt er das Kommando am mehrkanaligen Newsdesk.

Ob das die Chance zum Neuanfang sein wird? Reiter muss, schon damit sein Abschied ehrenvoll begangen werden kann und sein Lebenswerk nicht bedroht ist, klar Schiff machen und sich selber als Aufklärer in vorderster Front profilieren. Fohts Rausschmiss hat während Reiters Urlaub dessen Stellvertreterin Karola Wille exekutiert. Auch sie zeigt sich jetzt als energiegeladene Sauberfrau. Sie will Intendantin werden. Noch zeichnet sich für keinen Kandidaten eine Mehrheit ab, aber schon am 26. September soll die Wahl stattfinden.

Die ARD verkündet stolz, dass sie selber die Irrungen und Wirrungen beim MDR herausbekommen habe. Wichtiger ist, was daraus wird. Der MDR muss ein Selbstverständnis überdenken: weg vom Wellness-Sender für die Ossi-Integration hin zur vierten Gewalt. Die deutsche Einheit gibt es nun lang genug, um endlich den Sonderweg zu beenden. Es wäre schon einiges gewonnen, würde der MDR ein ganz normaler ARD-Sender: etwas schwerfällig, aber mit journalistischem Anspruch.

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