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Medien: Medienrecht: "Kohl hat Anspruch auf Wahrheitsschutz" - Rechtsanwalt Schertz im Interview

Christian Schertz, 35, ist Rechtsanwalt in der Berliner Anwaltskanzlei Hertin und spezialisiert auf Fragen des Presse-, Urheber- und Medienrechts. Er hat unter anderem den Kaufhaus-Erpresser Arno Funke (Dagobert) wegen des SFB-Tatorts "Dagoberts Enkel" anwaltlich vertreten.

Christian Schertz, 35, ist Rechtsanwalt in der Berliner Anwaltskanzlei Hertin und spezialisiert auf Fragen des Presse-, Urheber- und Medienrechts. Er hat unter anderem den Kaufhaus-Erpresser Arno Funke (Dagobert) wegen des SFB-Tatorts "Dagoberts Enkel" anwaltlich vertreten. Zuletzt beriet der promovierte Jurist Regina Ziegler bei der Produktion des ARD-Zweiteilers "Der Verleger", der im Herbst gezeigt werden soll.

Herr Schertz, die ARD plant einen Fernsehfilm über Helmut Kohl. Was könnte dem Ex-Bundeskanzler einfallen, um die Produktion in letzter Minute zu verhindern?

Grundsätzlich kann Herr Kohl eine Dokumentation oder einen Spielfilm über sein Leben nicht verhindern. Er ist eine Person der Zeitgeschichte und müsste sich selbst ein "Bio-Pic" über seine Person gefallen lassen. Sein ganzes politischen Leben darf verfilmt werden. Geschützt ist dagegen seine Intimsphäre, auch deshalb, weil es ja durchaus sein kann, dass in diesem Zusammenhang die Rechte anderer Personen verletzt würden. Wollten Sie also Szenen aus Kohls Privatleben zeigen, bräuchten Sie seine Zustimmung.

Ansonsten ist alles machbar?

Helmut Kohl hat einen Anspruch auf Wahrheitsschutz. Er könnte gegen den Film vorgehen, wenn er glaubt, dass bestimmte historische Vorgänge falsch dargestellt werden.

Aber klagen kann er immer nur, wenn es zu spät ist, also nach der Ausstrahlung.

Schon richtig. Presserecht und Persönlichkeitsrecht sind in diesen Fällen stumpfe Schwerter, weil sich der Betroffene immer erst im Nachhinein wehren kann.

Lässt sich das Recht auf Persönlichkeitsschutz nicht einfach aushebeln? Wir nennen unsere Hauptpersonen schlichtweg Helmut und Hannelore und machen dann, was wir wollen. Es weiß doch ohnehin jeder, wer gemeint ist.

Einen ähnlich gelagerten Fall gab es ja vor kurzem mit dem Film über den Bau-Spekulanten Jürgen Schneider: "Peanuts - die Bank zahlt alles". Da wurde in satirischer Form der Fall Schneider überhöht. Das Gericht befand, es sei für jeden Zuschauer erkennbar gewesen, dass es sich um eine Satire gehandelt habe und nicht um einen Film mit Wahrheitsanspruch. Niemand könne glauben, dass tatsächlich jemand die Sahara oder den Reichstag kaufen wollte.

Das Gericht hat also entschieden: Satire ist nicht wahr.

Bei Satire weiß der Zuschauer, dass es keinen Wahrheitsanspruch gibt. Deshalb ist das Persönlichkeitsrecht bei Satiren eingeschränkt. Man muss drei Kategorien unterscheiden: Erstens Filme, die einen Wahrheitsanspruch haben. Zweitens Filme, die einen realen Fall zum Anlass nehmen, eine rein fiktive Geschichte zu erzählen. Und drittens die Satire aus Anlass eines konkreten Falles. Satiren wie "Schtonk" oder "Peanuts" haben es vor Gericht leichter - ihnen wird eher das Recht auf künstlerische Freiheit zugesprochen.

Wenn ich vorhabe, einen Film über eine Person der Zeitgeschichte zu machen, wann muss ich mir den Beistand eines Juristen sichern, um ja keine Probleme zu bekommen?

Wenn, dann sollte ein Jurist schon die Entwicklung des Drehbuchs begleiten. Es geht immer um die Abwägung zwischen künstlerischer Freiheit auf der einen Seite und Wahrheitsanspruch auf der anderen. Das ist nicht immer einfach.

Sie als Jurist sind der Mann, der im Hintergrund die Fäden zieht?

Nein, das ganz sicher nicht. Autor und Regisseur machen den Film, den sie wollen. Ich bin der Dienstleister im Hintergrund, der auf Gefahren hinweist. Ein juristischer Berater, nicht mehr.

Angenommen, wir machten einen Film und würden ihn "Das Leben des Helmut Kohl" nennen. Dann könnten alle Helmut Kohls dieser Welt kommen und sagen, das ist ja alles gar nicht wahr?

Nicht alle Helmut Kohls, sondern nur die Person, die für den Zuschauer erkennbar dargestellt wird. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Aber nehmen wir einmal an, es ginge um einen Film über Leuna und Elf Aquitaine. Da müsste man sehr aufpassen, dass nicht Dinge behauptet würden, die nicht zutreffen. Sie müssen zwar nicht immer alles beweisen können, manchmal reichen auch Verdachtsmomente. Aber wenigstens die brauchen Sie.

Wenn es den Film "Die Leunaaffäre - eine wahre Geschichte" gäbe, könnte ein Protagonist fordern, den Film vorab zu sehen?

Nein, Zensur findet glücklicherweise in Deutschland nicht mehr statt. Zensur ist eine Vorabkontrolle von kreativen oder presserelevanten Inhalten. Es gibt keinen Anspruch, einen Film vorab gezeigt zu bekommen. Das gilt auch für die schreibende Zunft. Herr Landowsky würde sich sicher sehr freuen, wenn er jeden Artikel, den die Presse über ihn bringt, vor Veröffentlichung zu sehen bekäme. Und nicht nur er.

Filmproduzenten sind offenbar sehr vorsichtige Menschen. Sonst würden sie nicht Juristen wie Sie engagieren. Ist es nicht klüger, unvorsichtig zu sein?

Warum das?

Es gibt doch viel mehr Publicity, sobald gegen einen Film ordentlich geklagt wird.

Der richtige Ärger beginnt immer erst nach der Premiere. Und der lohnt sich nicht.

Wegen der Zweit- und Drittverwertung?

Schwierigkeiten in diesem Bereich vorzubeugen, zählt auch zu meinen Aufgaben.

Der Jurist als Lotse. Um den Preis, dass das Ergebnis harmloser ausfällt als geplant?

Das würde ich mit Nachdruck bestreiten. In inhaltliche Dinge mische ich mich nicht ein. Das ist nicht meine Aufgabe.

Die Zahl der Medienjuristen hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht. Scheint ein gutes Geschäft zu sein.

Die Zahl der Sender hat sich ja auch mindestens verdreifacht. Außerdem hat die Lust zu klagen erheblich zugenommen. Und die Qualität der Medien ist auch nicht unbedingt besser geworden.

Geht es um Recht oder um Geld?

Das Presserecht wird mitunter dazu missbraucht, Exklusivrechte zu sichern oder Honorare in die Höhe zu treiben. Die Methoden vieler Boulevardblätter haben die Richter die Latte in Bezug auf Persönlichkeitsrechte immer höher legen lassen. So hoch, dass inzwischen auch der seriöse Journalismus eingeengt wird. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Problem.

Wir reden über Rechte. Muss nicht auch die Würde eines Menschen geschützt werden? Wir denken da an den Film "Wambo", in dem es um das Leben des Walter Sedlmayr ging.

Sexuelle Praktiken en détail zu zeigen, wie es Sat 1 bei "Wambo" unternommen hat, das wäre im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht möglich gewesen. Einige Szenen haben die Würde des Menschen Sedlmayr verletzt, das ist jedenfalls meine Ansicht. Ich muss doch kein Jurist sein, um das zu erkennen. Aber wo kein Kläger, da kein Richter.

Sie haben die ARD-Produktion "Der Verleger" juristisch beraten, einen Zweiteiler über das Leben Axel Cäsar Springers, der im Herbst ausgestrahlt werden soll. Gab es Probleme?

Nichts Wesentliches. Ich habe geraten, eine Person zu entindividualisieren. Das wurde dann auch gemacht.

Entindividualisieren - was ist das denn?

Es musste erreicht werden, dass eine bestimmte Person, die viel mit Axel Springer zu tun hatte und im Film auftaucht, nicht erkannt werden durfte, weil wir wussten, dass sie nicht erkannt werden wollte. Diese Person musste einen allgemeinen Charakter annehmen.

Keine Einsprüche der Springer-Witwe?

Friede Springer hat sich bislang vollkommen neutral verhalten. Ich finde das sehr klug.

Herr Schertz[die ARD plant einen Fernsehfilm &uum]

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