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Medien: Medienrepublik (1): Harald Martenstein weiß jetzt, dass die deutschen Medien alles überstehen würden

Angenommen, eine Atombombe fliegt auf Deutschland zu. Es handelt sich um eine ganz langsame Atombombe, ein Produkt aus der Dritten Welt.

Angenommen, eine Atombombe fliegt auf Deutschland zu. Es handelt sich um eine ganz langsame Atombombe, ein Produkt aus der Dritten Welt. Sie braucht genau eine Woche für den Weg. Das Dumme ist: Keiner kann sie stoppen. Am ersten Tag wären natürlich alle sehr aufgeregt - Chaos, Betroffenheit, Angst, all diese Sachen. Dann würden die Passagiere erst mal wieder ihre gewohnten Plätze einnehmen.

Enzensberger würde zum Ende von Deutschland das große Feuilleton in der "FAZ" schreiben, Broder bei uns die bissige Broder-Glosse, Wagner in "Bild" einen melancholischen Wagner-Brief. Wiglaf Droste würde in der "taz" ein letztes Mal die Gefühlsduselei geißeln und das Ende von Deutschland begrüßen, in der "Literarischen Welt" würden sie noch mal die 68er für den ganzen Schlamassel verantwortlich machen und strenge Sondergesetze verlangen, damit wenigstens ganz zum Schluss auf den Straßen Ordnung herrscht. Bei Axel Springer müssten alle Redakteure noch schnell eine Erklärung unterzeichnen, dass sie gegen das Ende von Deutschland sind und es niemals hinnehmen werden. Irgendwer würde irgendwann das Ende der "Das Ende von Deutschland"-Debatte verlangen, wahrscheinlich in der "Zeit". Wir würden tolle Interviews machen: Mit Heinrich August Winkler zum Ende der deutschen Geschichte, mit Claudia Schiffer über "Abschied vom Mythos der deutschen Frau" und mit Stuart Pigott über den deutschen Wein. Moritz von Uslar würde im letzten "SZ-Magazin" "100 Fragen an Deutschland" schreiben, das wäre bestimmt witzig. Lea Rosh würde in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" erklären, dass die deutsche Schuld auch nach dem Ende von Deutschland weiterbesteht, und Ulrich Wickert würde vor dem Wetterbericht immer kleine Geschichten über die Apokalypse erzählen, die würden als allerletztes deutsches Buch sogar noch gedruckt werden. Währenddessen würde die Atombombe immer weiter auf Deutschland zufliegen.

In den letzten zwei Tagen würde man aber kaum noch Autoren finden, obwohl kein einziger Redakteur mehr auf den Redaktionsetat achtet und Wahnsinnshonorare gezahlt werden. Jeder, den man anruft, sagt: "Tut mir leid, ich muss meine letzten Dinge regeln." Also erscheinen die Zeitungen mit weißen Flecken, auf denen nur noch der Name steht. Auf der Seite eins im Feuilleton der "FAZ" erscheint nur noch ein großer weißer Kasten mit den Worten "Enzensberger!", in der "taz" steht statt eines Artikels nur noch "Droste! Letzter Tabubruch!". Jeder Leser würde verstehen, was gemeint ist, und Zeit zum Lesen hat eh keiner mehr.

Dann würde es "Rumms!" machen, und es wäre erst mal Ruhe.

Im Laufe von zehntausenden von Jahren würden neue Deutsche entstehen, käferartige Wesen mit behaarten Krabbelbeinen und suppentellergroßen Augen. Die neuen Deutschen sind auch wieder begeisterte Mediennutzer. Und schwuppdiwupp entsteht ein neuer Ulli Wickert, so ein Vertrauen einflößender, schlanker Käfer mit reichlich Ethik und sympathischer Brummelstimme, und ein neuer Wiglaf Droste, so ein dicker, furchtbar aggressiver mit gelben Stacheln am Po. Und ein superkluger Käfer namens Hans Magnus Enzensberger wird auch dabei sein, und einer, der toll schimmert und Michel Friedman heißt, Fragen von Kärtchen abliest und alle mit einer ätzenden Flüssigkeit anspritzt, die nicht sofort die richtige Antwort wissen.

Also - egal, was passiert, um die deutschen Medien muss sich keiner Sorgen machen. Wir bleiben auf dem Posten!

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