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Medien: Medienrepublik (104)

Norbert Thomma über die Konjunktur des Wortes „spannend“ und die verordnete Langeweile der „Zeit“ In den vergangenen Jahren ist die Welt immer spannender geworden. Das ergibt eine Analyse deutscher Zeitungen und Zeitschriften.

Norbert Thomma über die Konjunktur des Wortes „spannend“ und die verordnete Langeweile der „Zeit“

In den vergangenen Jahren ist die Welt immer spannender geworden. Das ergibt eine Analyse deutscher Zeitungen und Zeitschriften. Basis der Untersuchung (siehe Grafik) ist die Verwendung des Wortes „spannend“ (auch: „spannender“) in redaktionellen Beiträgen. Das im Durchschnitt spannendste Jahr war demnach 2000.

Den höchsten Spannungszuwachs verzeichnen die Redaktionen von „Spiegel“ und „Zeit“. Im Vergleich zu 1995 fanden beide Blätter das Jahr 2000 in etwa doppelt so spannend. In den Folgejahren tendierte das Wort „spannend“ deutlich schwächer (Parallelen zum Deutschen Aktienindex sind unübersehbar). Den Grund dieser Flaute des Begriffs „spannend“ sehen Sprachanalysten in der marktbedingten Verteuerung des Originalwortes „spannend“. Experten schätzen dessen Gesamtvorkommen im deutschen Sprachraum auf etwa 27 000 (abweichend die Angaben der „Gesellschaft der Wortbewahrung“ in Darmstadt mit zirka 40 000).

Was finden nun Journalisten alles „spannend“?

Eine detaillierte Untersuchung am Beispiel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ergab: Spannend sind grundsätzlich „neue Aufgabengebiete“, aber auch „Ausstellungen“, „Fragestellungen“, „Annäherungen“ und „Entwicklungen“. Unter der Rubrik Motormarkt wurden als „spannend“ empfunden sowohl „Neuheiten“, „der Autofrühling“ sowie „Fahrzeuge“ im Allgemeinen. Weiterhin spannend sind für die Frankfurter Redakteure „Zwiegespräch“ und „Wohnexperiment“, „Märkte“ und „Installation“, dito „die Balance zwischen Rationalität und Sinnlichkeit“. Als geradezu vorbildhaft zeigt sich der Einsatz des Wortes „spannend“ in einem Beitrag des Feuilletons über eine „energiesprühende AllegroKadenz, die wie ein spannendes Accompagnato wirkte“.

Zunehmend überhand nahm die Verwendung von „spannend“ in der „Zeit“. Aus Kostengründen wies die Chefredaktion in einem internen Papier vom 9. 12. 2000 (das dem Tagesspiegel vorliegt) darauf hin, „dass bei der künftigen Textverfassung der Begriff ,spannend’ durch sinnverwandte und preiswertere Begriffe ersetzt werden soll“. Die beigefügte Liste der Vorschläge seitens der Chefredaktion umfasste „interessant, aufregend, ungewöhnlich, bemerkenswert, packend, innovativ, reizvoll etc. pp.“. Bereits im Jahr 2001 konnte die „Zeit“ dadurch 31 „spannend“ einsparen (siehe Grafik), mehr als 10 Prozent des Vorjahres; eine Tendenz, die sich seitdem verstärkte.

Im Vergleich dazu findet der Tagesspiegel die Welt seit Jahren ungefähr gleich „spannend“ (der statistische Bauch Ende des Jahrtausends ist dennoch nicht zu übersehen). Es wäre falsch daraus abzuleiten, die Redaktion begleite das Weltgeschehen ohne Emphase, quasi temperamentlos. Vielmehr hat der Verlag bereits in den 70er Jahren einen ausreichenden Vorrat an Original-„spannend“ eingekauft, die unter klimatisch idealen Bedingungen in einem Magazin lagern. Das macht den Tagesspiegel gegen konjunkturbedingten Preisdruck immun. Dazu kommt, dass schon längere Zeit eine Kerngruppe von überaus abgenutzten Wörtern von den Redakteuren von Hand sorgfältig gewaschen und danach in einem Trockner bei 60 Grad schonend der Wiederverwendung zugeführt wird. Außerdem sperrt sich die Redaktion des Tagesspiegels nachhaltig gegen jede Mode. Als beachtenswerte Ausnahmen zeigen sich „Frankfurter Rundschau“ und „taz“. Beide Blätter hatten – gegen den Trend – ihren Höhepunkt bei der Verwendung von „spannend“ erst im vergangenen Jahr. Lag’s an der Flut? An Saddam Hussein? An Olli Kahn? Spannende Fragen.

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