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Medien: Medienrepublik (48)

Malte Lehming über ungewöhnlich gemäßigte US-Medien am 11. September Es war ein mediales Großereignis, mit Einschaltquoten wie beim Baseball-Finale.

Malte Lehming über ungewöhnlich gemäßigte US-Medien am 11. September

Es war ein mediales Großereignis, mit Einschaltquoten wie beim Baseball-Finale. Zum Jahrestag des 11. September hatten sich in Amerika nicht allein die großen TV-Stationen wie CBS, ABC, NBC, Fox und CNN etwas Besonderes einfallen lassen, sondern buchstäblich alle Kanäle. Der „Food Network“ unterlegte seine Kochkurse mit getragener Musik, auf „ESPN“ lief eine Dokumentation über die Entwicklung des Sports in Afghanistan nach dem Ende der Taliban- Herrschaft, und „Turner Classic Movies“ zeigte „King Kong“.

Doch „King Kong“ war schon das Extremste. Insgesamt wurde der Jahrestag sehr dezent begangen. Keine Werbung, kein News-Ticker. Statt dessen wurden die n der 3025 Ermordeten eingeblendet. Was von diesem Jubiläum in Erinnerung bleibt, ist das hohe Maß an Diskretion. Keine einstürzenden Hochhausbauten, keine panisch herumrennenden Menschen, kein Geschrei. Der Kontrast zu jener Dramatik, wie sie die Medien live am Ereignistag selbst verbreitet hatten, war stark.

Eine Minute lang richtet sich die Kamera auf ein Fenster im Pentagon. „Marian, We Miss You“ ist mit dem Finger auf die staubige Scheibe geschrieben worden. Eine Frau am World Trade Center trägt ein Schild mit der Fotografie eines Mannes. Darunter stehen zwei Worte: „Remember Me“. Solche stummen Relikte der Trauer erzeugen stärkere Gefühle als das Zeigen des Grauens. Der Schock muss nicht wachgekitzelt werden. Bis heute haben viele Amerikaner einige Szenen der Tragödie nur vor einem Jahr gesehen. Sie wissen, dass Menschen in den Tod sprangen. Doch die Bilder davon bleiben unter Verschluss. Das befiehlt den Medienmachern kein Gesetz, sondern ihr Taktgefühl.

Wozu sind Medien da? Sie sollen informieren, berichten, enthüllen und, wie es so schön heißt, zur Meinungsbildung beitragen. Am Jahrestag des 11. September waren keine dieser Funktionen gefragt. Die Fakten sind bekannt. Es gibt eigentlich nichts zu berichten. Aus diesem Dilemma hat das Fernsehen in den USA eine Tugend gemacht. Die Frage, wo an einem solchen Tag die professionelle Distanz der Medien, ihre leicht unterkühlte Sachlichkeit bleibt, stellt niemand in Amerika, wo die Presse so frei ist wie sonst nirgends. Das Land ist im Ausnahmezustand – auch noch ein Jahr danach.

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